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„Sicherheitspaket“: Eine biometrische Datenbank, um alle zu finden

netzpolitik.org - vor 7 Stunden 55 Minuten

Die Ampel will dem Bundeskriminalamt eine biometrische Superdatenbank in die Hand geben, in der alle gespeichert sind, deren Bild im Internet erschienen ist. Wir erklären, wie das technisch geht und wie radikal es das Grundrecht auf Privatsphäre für Millionen Menschen aushöhlt.

Mittels eines Fotos einer Person soll das Bundeskriminalamt weitere Bilder der Person im Internet finden können. Dazu muss das gesamte Internet biometrisch erfasst werden. (Symbolbild) – Public Domain generiert mit Midjourney

Die Ampel-Regierung will in ihrem „Sicherheitspaket“ das Bundeskriminalamt mit einer neuen Fahndungsmöglichkeit ausstatten: Die Polizei hat ein Foto oder die Aufzeichnung der Stimme einer Person und möchte wissen, wo diese Person sonst noch überall im Netz zu finden ist. Darüber soll das BKA Hinweise für die Fahndung bekommen.

Doch um diese biometrische Internetfahndung zu machen, muss man Milliarden von Bildern und Videos aus dem Netz scannen und biometrisch auswerten. Dafür ist eine Superdatenbank nötig, in der unbescholtene Menschen ohne ihre Zustimmung mit ihren biometrischen Merkmalen gespeichert werden. Der europäische Datenschutz und die EU-Verordnung zur Künstlichen Intelligenz verbieten diese Anwendung von Technologie – die Ampel möchte sie trotzdem einführen.

Wir erklären, wie das alles geht und wo die Probleme liegen:

Wie funktioniert die biometrische Suche im Netz?

Gesichtersuchmaschinen eröffnen ein Szenario, das nach Science Fiction klingt: nach einem Gesicht suchen und alle möglichen Treffer zu diesem Gesicht im öffentlichen Internet finden – egal wie alt, schlecht aufgelöst oder gut versteckt die Bilder sind. Man lädt ein Foto hoch und bekommt danach eine Übersicht der Treffer angezeigt, die eine hohe Ähnlichkeit aufweisen, zusammen mit Links zu den Fundstellen im Netz.

Um diese Art von Suche anzubieten, durchsuchen und indexieren die Anbieter massenweise Fotos und Videos im öffentlichen Internet. Sie scannen dafür Instagram, Facebook, YouTube und Millionen von Webseiten. Die dort gefundenen Gesichter von Menschen vermessen sie anhand ihrer einzigartigen Beschaffenheit: den Abstand von Augen, Nase und Mund etwa.

Unternehmen wie Clearview AI oder PimEyes geben zu, dass ihre Datenbanken auf diese Weise Daten zu Milliarden von Gesichtern aus dem Netz umfassen. Eine Einwilligung bei den betroffenen Menschen oder bei den Fotografen oder Plattformanbietern holen die Unternehmen dafür nicht ein.

Sucht man nun eine Person, dann lädt man ein Bild in die Suchmaschine hoch. Dort wird die abgebildete Person selbst auf seine biometrischen Merkmale vermessen und dann mit den in der Referenzdatenbank gespeicherten Milliarden Daten verglichen.

Warum halten Fachleute das für gefährlich?

Technologien, die Menschen anhand ihres Gesichtes identifizieren, galten lange als Tabu. Selbst den großen Tech-Konzernen war klar, wie radikal sie die Privatsphäre und das Recht auf Anonymität aushöhlen würden. Der Facebook-Konzern Meta hat eine firmeninterne App zur Gesichtserkennung deswegen bewusst nicht öffentlich gemacht. Auch Google bezeichnete die Technologie 2011 als „zu gruselig“.

Wie schwerwiegend die Konsequenzen sind, zeigte sich, als Start-ups wie PimEyes und Clearview AI mit weniger ethischen Skrupeln in den Markt traten. Faktisch bedeuten diese Suchmaschinen das Ende der Anonymität. Ob auf der Straße, im Supermarkt oder auf der Demo: Der Schnappschuss eines Gesichtes oder selbst ein jahrzehntealtes Foto reichen aus, um damit weitere Bilder dieser Person im Netz zu finden.

Das beutetet nicht automatisch, dass man auch den Namen, das Geburtsdatum oder die Arbeitsstelle einer Person erfährt. In der Praxis findet man diese Informationen aber häufig zusammen mit dem Foto im Netz. Selbst Menschen ohne eigenen Online-Auftritt können nicht verhindern, dass andere sie fotografieren und die Bilder hochladen. So geraten alle potentiell ins Visier dieser umfassenden Online-Rasterfahndung.

Datenschützer:innen kritisieren, dass Firmen wie PimEyes einfach Bilder aus dem Netz scannen und Gesichter von unbescholtenen Menschen ohne Einwilligung biometrisch auswerten und milliardenfach abspeichern. Die Praxis widerspricht der EU-Datenschutzgrundverordnung und ist in Europa verboten. Unternehmen wie PimEyes haben ihren Firmensitz ins außereuropäische Ausland verlagert.

Warum ist die Technologie laut den neuen EU-Regeln zu Künstlicher Intelligenz verboten?

Im Mai hat die EU neue Regeln für die Entwicklung und den Einsatz von sogenannter Künstlicher Intelligenz verabschiedet. Die KI-Verordnung enthält auch eine Liste von Anwendungen, die in der EU verboten sind, darunter „die Verwendung von KI-Systemen, die Datenbanken zur Gesichtserkennung durch das ungezielte Auslesen von Gesichtsbildern aus dem Internet oder von Überwachungsmaterial erstellen oder erweitern“.

Genau das müsste das BKA aber tun, um eine Referenzdatenbank nach dem Vorbild von PimEyes oder Clearview zu erstellen und damit nach biometrischen Treffern im Netz zu fahnden. In einer Anhörung auf das Problem angesprochen, konnte die Vizepräsidentin des BKA nicht sagen, wie dieses Problem technisch und rechtlich gelöst werden soll.

Mit welchen Technologien kann das BKA die Suche umsetzen?

Das BKA besitzt bislang keine solche Datenbank. Es ist auch kaum vorstellbar, dass das Bundeskriminalamt eine biometrische Superdatenbank aller Menschen im Internet selbst programmieren lassen wird. Stattdessen könnte es diese Dienstleistung bei kommerziellen Anbietern wie dem umstrittenen Überwachungsriesen Palantir oder einem anderen Unternehmen einkaufen und nutzen.

Die Ampel möchte, dass das Bundeskriminalamt anhand eines Fotos alle weiteren Bilder einer Person im Internet finden kann. Dazu werden Bilder von Menschen im Netz biometrisch vermessen und gespeichert. (Symbolbild) - Public Domain generiert mit Midjourney Welche Rolle hat die biometrische Suche bei der Festnahme von Daniela Klette gespielt?

Anfang des Jahres hatten Journalist:innen die mutmaßliche RAF-Terroristin Daniela Klette mit Hilfe der Gesichtersuchmaschine PimEyes auf Facebook entdeckt. Jahrzehntelang hatten Ermittlungsbehörden zuvor nach Klette gesucht. Die Journalist:innen fanden sie binnen Minuten mit einem alten Fahndungsfotos auf den Bildern eines Berliner Capoeira-Vereins.

Kurz darauf nahm die Polizei Klette in ihrer Kreuzberger Wohnung fest. Welche Rolle die Hinweise über die Gesichtersuche dabei spielten, sagte sie nicht. Trotzdem wurde daraufhin diskutiert, warum Strafverfolgungsbehörden diese Möglichkeiten nicht ebenfalls nutzen können. Auch jetzt wird genau dieser Fall in den Beratungen der Ampel angeführt, um zu belegen, dass die Polizei diese Technik brauche.

Dabei wird in der Diskussion unterschlagen, dass man für eine solche biometrische Internetfahndung alle im Netz verfügbaren Bilder und Videos biometrisch katalogisieren muss, um eine Referenzdatenbank zu erstellen. In diese gelangen Millionen unbescholtene Menschen, die ihrer biometrischen Vermessung und Verarbeitung nie zugestimmt haben.

Was soll das Bundeskriminalamt mit der biometrischen Suche tun dürfen?

Mit der biometrischen Internetfahndung sollen das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei laut dem Sicherheitspaket nach mutmaßlichen Straftäter:innen, aber auch etwa nach Opfern suchen dürfen. Die Fahndung soll für „besonders schwere Straftaten“ erlaubt sein, die laut Strafprozessordnung etwa auch das staatliche Hacken eines Smartphones rechtfertigen. Dazu zählen Mord, Geldwäsche, Bandendiebstahl und Vergewaltigung, aber auch das „Einschleusen von Ausländern“ sowie Drogenhandel oder die Unterstützung bei Betrug im Asylantrag. Schon der Verdacht, dass eine solche Tat begangen wird, reicht aus.

Eine Fahndung sollen die Präsident:innen von Ermittlungsbehörden oder deren Vertretung anordnen dürfen. Zuvor bedarf es einer richterlichen Genehmigung. Bei „Gefahr im Verzug“ sind hier allerdings Ausnahmen für die Dauer von bis zu drei Tagen möglich. Dann kann die oberste BKA-Führungsebene auch ohne Richter:in eine biometrische Fahndung anordnen. Fahnden darf das BKA mit der Methode nach mutmaßlichen Straftäter:innen und Opfern von Straftaten, aber nicht mehr nach Zeug:innen, wie es die Ampel zuvor noch geplant hatte.

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„Sicherheitspaket“: Kosmetische Korrekturen an Überwachungsplänen

netzpolitik.org - vor 10 Stunden 9 Minuten

Das umstrittene Sicherheitspaket soll noch diese Woche durch den Bundestag gepeitscht werden. Die Pläne bedrohen trotz kosmetischer Änderungen massiv Grund- und Menschenrechte. Wir veröffentlichen die Änderungsanträge der Ampel im Volltext – und analysieren, was sie bedeuten.

Entschärft wurde nichts, betont Bundesinnenministerin Nancy Faeser. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO

Die Ampel-Koalition hat sich auf einen Kompromiss zum „Sicherheitspaket“ geeinigt. Das Gesetzesvorhaben soll noch diese Woche im Bundestag beschlossen werden. Am vergangenen Freitag hatten die Ampel-Fraktionen und das Bundesinnenministerium eine Einigung verkündet, ohne dabei Näheres bekannt zu geben. Inzwischen liegt der Text der beiden Änderungsanträge vor, die wir als Dokumente im Volltext veröffentlichen:

Die darin genannten Entschärfungen tragen der massiven Kritik an dem Gesetzentwurf in der Sachverständigenanhörung vor drei Wochen nur in kleinen Teilen Rechnung.

Die Änderungen betreffen beispielsweise die biometrische Fahndung mit Fotos und Stimmproben im Internet. Mit diesen Methoden sollen das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei nach mutmaßlichen Straftäter:innen, aber auch etwa nach Opfern suchen dürfen. Fachleute und Menschenrechtsorganisationen hatten diese Maßnahme als unverhältnismäßigen Eingriff in Grundrechte kritisiert. Denn das BKA müsste dafür eine umfassende Datenbank mit den biometrischen Daten aller im Internet verfügbaren Bilder selbst erstellen, vorhalten und indizieren – oder diese Daten als Dienstleistung bei einem kommerziellen Anbieter wie Palantir, ClearView oder Pimeyes einkaufen. Deren Geschäftsmodelle laufen aber der europäischen Datenschutzgrundverordnung zuwider.

Biometrische Internetfahndung kommt

Dennoch will die Ampel, dass die biometrische Fahndung kommt. Lediglich die Eingriffsschwelle will sie dafür erhöhen. Demnach wird die biometrische Fahndung nur noch für „besonders schwere Straftaten“ erlaubt sein, die laut Strafprozessordnung etwa auch das staatliche Hacken eines Smartphones rechtfertigen. Dazu zählen Mord, Geldwäsche, Bandendiebstahl und Vergewaltigung, aber auch das „Einschleusen von Ausländern“ sowie Drogenhandel oder die Unterstützung bei Betrug im Asylantrag. Schon der Verdacht, dass eine solche Tat begangen wird, reicht aus. Ursprünglich geplant war der Einsatz bereits für „schwere Straftaten“.

Eine Fahndung sollen die Präsident:innen von Ermittlungsbehörden oder deren Vertretung anordnen dürfen. Zuvor bedarf es einer richterlichen Genehmigung. Bei „Gefahr im Verzug“ sind hier allerdings Ausnahmen für die Dauer von bis zu drei Tagen möglich. Dann kann die oberste BKA-Führungsebene auch ohne Richter:in eine biometrische Fahndung anordnen. Fahnden darf das BKA mit der Methode nach mutmaßlichen Straftäter:innen und Opfern von Straftaten, aber nicht mehr nach Zeug:innen, wie es die Ampel zuvor noch geplant hatte. Die Bundesdatenschutzbeauftragte soll eng beaufsichtigen, dass diese Regeln eingehalten werden.

Regierung soll Details per Verordnung festlegen

Zusätzlich hat die Koalition eine Verordnungsermächtigung vorgesehen. Mit einer Verordnungsermächtigung räumt das Parlament der Regierung die Freiheit ein, Entscheidungen zu Details eines Gesetzes im weiteren Verlauf selbst zu treffen. Konkret muss die Bundesregierung die Details zu den technischen Verfahren der biometrischen Fahndung festlegen, bevor diese eingesetzt werden darf. Die Verfahren betreffen etwa, welche Art von Daten gespeichert werden und wie der Zugriff auf diese Daten geregelt ist. Dafür muss die Regierung die Einschätzung der Bundesdatenschutzbeauftragten einholen.

Das BKA hatte in einer Anhörung Ende September nicht sagen können, wie die Fahndung technisch funktionieren soll. Kommerzielle Gesichtersuchmaschinen wie PimEyes oder Clearview sind in der EU verboten und dürfen von Behörden nicht eingesetzt werden. Das BKA müsste daher zunächst eine legale technische Lösung entwickeln lassen. Die Bundesdatenschutzbeauftragte nannte eine solche Umsetzung „unrealistisch“.

Der Gesetzentwurf soll dem BKA auch eine automatisierte Analyse von großen Datenmengen ermöglichen. Dazu darf die Behörde Daten aus ihren unterschiedlichen Datenbanken zusammenführen, darunter auch Daten von Zeug:innen oder Personen, die Anzeige erstattet haben. Diese Daten darf sie anschließend mit Software auswerten, um nach Verbindungen und Mustern zu suchen. Auch hierfür muss die Regierung nun zunächst eine Verordnung für die Ausgestaltung der technischen Details erlassen.

Migrationsrecht bis auf „wenige Ausnahmen“ verschärft

Die Verschärfungen im Bereich Migration und Asyl, die besonders bei der SPD auf Unmut stieß, bleiben im Wesentlichen bestehen. Geflüchtete, die nach Deutschland kommen, obwohl nach den Dublin-Regeln ein anderer EU-Staat für ihr Asylverfahren zuständig ist, sollen weiterhin keine Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Die Ampel stellt lediglich klar, dass die Kürzung ausschließlich Menschen betrifft, deren Ausreise „rechtlich und tatsächlich“ möglich sein soll. Die Einschätzung nimmt das Bundesamt für Flucht und Migration (BAMF) vor. Außerdem sind einige wenige Ausnahmen für sogenannte Härtefälle vorgesehen.

Auch sollen anerkannte Geflüchtete, die in ihr Heimatland zurückreisen, in der Regel den Schutzstatus verlieren. Unterbleiben soll dies laut dem aktuellen Kompromiss nur dann, wenn die Reise „sittlich geboten“ ist, etwa für eine Beerdigung. Vor Antritt einer Reise müssen Geflüchtete die Ausländerbehörde darüber informieren.

Der FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle sagte, dass der migrationspolitische Teil des Sicherheitspakets in seinen Grundzügen unverändert geblieben sei. Innenministerin Nancy Faeser wies die Kritik der Opposition an dem entschärften Gesetzespaket zurück. Von den geplanten Ausnahmen seien nur „Kleinstgruppen“ wie etwa Schwangere betroffen, so Faeser.

Auch die neuen biometrischen Möglichkeiten für das BAMF bleiben weiter bestehen. Das BAMF soll im Asylprozess per biometrischer Gesichtersuche im Netz die Identität einer Person feststellen dürfen, wenn diese keine Papiere vorlegen kann. Bislang durfte das BAMF zu diesem Zweck die Geräte von Asylsuchenden auswerten. Laut Kompromiss sei die biometrische Suche im Netz das „mildere Mittel“, da es sich um einen Abgleich mit öffentlichen Daten handele. Auch hier wären riesige Datenbanken von Unbeteiligten nötig. Die Regierung muss ebenfalls per Verordnung zunächst die technischen Details der Suche und Datenspeicherung festlegen und diese mit der Bundesbeauftragten für Datenschutz abstimmen.

Anlasslose Kontrollen werden ausgeweitet

Bei der umstrittenen Ausweitung von Waffenverbotszonen und den damit einhergehenden anlasslosen Kontrollbefugnissen für die Polizei gibt es Änderungen, die vor allem die Ausnahmen vom Waffenverbot regeln. So wurden unter anderem Ausnahmen für Gastronomie und das Handwerk geschaffen. Gäste eines Straßenrestaurants machen sich demnach nicht strafbar, wenn sie in einer Waffenverbotszone mit handelsüblichem Essbesteck zu Tisch sitzen.

Das Grundproblem der Regelung bleibt aber bestehen: Die Waffenverbotszonen werden ausgeweitet und die Bundesländer dazu ermächtigt, diese nach überaus weichen Kriterien zu erlassen. Damit aber drohen viele Bereiche des öffentlichen Lebens zu solchen Zonen erklärt zu werden – mit der Folge, dass die Polizei dort ohne jeden Anfangsverdacht Menschen ansprechen, kontrollieren und durchsuchen darf. Solche Formen der anlasslosen Kontrolle setzen unbescholtene Menschen einem Generalverdacht aus und greifen tief in Grundrechte ein.

Protest angekündigt

Schon am morgigen Mittwoch wird die Koalition ihre Änderungen in den Innenausschuss des Bundestages einbringen. Am Donnerstag will sie einen Beschluss des Gesetzes im Plenum des Bundestags erreichen, sodass das Überwachungspaket am Freitag im Bundesrat behandelt und damit final verabschiedet werden könnte.

Gegen das Überwachungspaket gibt es am morgigen Mittwoch um 13 Uhr eine Kundgebung am Brandenburger Tor in Berlin, zu der das Bündnis „Gesichtserkennung stoppen“ aufruft.

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Interne Dokumente: TikTok ist sich seines Suchtpotenzials offenbar bewusst

netzpolitik.org - 14 Oktober, 2024 - 17:57

Das Suchtpotenzial von TikTok auf junge Nutzer:innen ist umstritten. Nun sind die Ergebnisse interner Untersuchungen öffentlich geworden. Sie zeigen, wie das Unternehmen die Risiken der Plattform und eigens ergriffene Gegenmaßnahmen bewertet.

Die Videoplattform TikTok ist umstritten. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Solen Feyissa

Aktuell verklagen die Generalstaatsanwälte von 13 US-Bundesstaaten und der Hauptstadt Washington, D. C. TikTok. Sie werfen dem sozialen Netzwerk vor, Kinder und Jugendliche bewusst süchtig zu machen.

Nun hat das US-Rundfunknetzwerk National Public Radio (NPR) Inhalte aus einem Gerichtsdokument veröffentlicht. Demnach ist TikTok das Suchtpotenzial der Video-Plattform für Jugendliche bekannt. Und offenbar zeigen Präventionsmaßnahmen des Unternehmens bislang kaum Wirkung.

Die Details sind wegen einer Kommunikationspanne öffentlich geworden, weil Angaben in einem Dokument nur unzureichend unkenntlich gemacht worden waren.

Süchtig in angeblich nur 35 Minuten

Das Dokument enthält interne E-Mails, Untersuchungen und Präsentationen von TikTok. Sie geben einen Einblick darüber, wie es um das unternehmensinterne Wissen hinsichtlich möglicher Risiken für junge Nutzer:innen steht.

Den Untersuchungen zufolge geraten junge Menschen schon in eine Abhängigkeit, wenn sie in geringer Zeit mehr als 260 Videos ansehen. Aufgrund der charakteristisch kurzen Dauer von TikTok-Videos könnte dies demnach bereits nach 35 Minuten geschehen.

Um dem Suchtpotenzial entgegenzuwirken, hat die Plattform mehrere Präventionsmaßnahmen in der App eingebaut. Eine davon ist die automatische Limitierung der Bildschirmzeit für Minderjährige auf 60 Minuten pro Tag. Dabei handelt es sich aber lediglich um eine wegklickbare Nachricht in der App.

In den veröffentlichten Gerichtsunterlagen findet sich eine von TikTok durchgeführte Untersuchung, wonach dieses Mittel kaum Wirkung zeigt: Die durchschnittliche Nutzungsdauer unter Jugendlichen hat sich dadurch um gerade einmal 1,5 Minuten auf insgesamt 107 Minuten pro Tag verringert.

Geopolitischer Konflikt im Internet

Die US-Regierung sieht TikTok seit Jahren zusehends kritisch. Im April dieses Jahres verabschiedete Präsident Joe Biden ein Gesetz, das die chinesische Mutterfirma ByteDance vor ein Ultimatum stellt: Entweder sie verkauft die App oder TikTok wird in den USA verboten.

Bürgerrechtsorganisationen kritisieren das Vorgehen der US-Regierung als Zensur. Aus ihrer Sicht geht es der Regierung vor allem darum, den geopolitischen Schlagabtausch mit China über das Internet auszutragen – und dazu eine der beliebtesten Plattformen der USA aus dem Land zu drängen.

Gerichtsdokumente nur unzureichend geschwärzt

Der Konflikt wird auch vor US-Gerichten ausgetragen. Mehrere US-Bundesstaaten beschuldigen TikTok, Kindern und Jugendlichen zu schaden. Aus dem Fall in Kentucky liegt NPR ein 119-seitiges Gerichtsdokument vor. Große Teile des Dokuments waren unkenntlich gemacht worden, allerdings nur unzureichend. Eine Reporterin kopierte den geschwärzten Text aus dem Gerichtsdokument und fügte ihn lesbar in ein neues Dokument ein.

Ein TikTok-Sprecher sagte gegenüber der Associated Press, dass es unverantwortlich sei, ein solches Dokument zu veröffentlichen. Außerdem würde die Berichterstattung irreführende Zitate herauspicken und veraltete Dokumente aus dem Kontext reißen.

Ein US-Bundesgericht ordnete auf Ersuchen der Generalstaatsanwaltschaft mittlerweile an, die Beschwerde zu versiegeln, um weitere Leaks zu verhindern.

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Degitalisierung: Peak mittelmäßig

netzpolitik.org - 13 Oktober, 2024 - 07:21

Excel, Word, PowerPoint und Co. sind mittelmäßig. Weil sie aber allgegenwärtig sind, muss die reale Welt an ihre Mittelmäßigkeit angepasst werden. Doch der Abhängigkeit vom Mittelmaß können wir entkommen.

Blue Screen of Mittelmaß (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Joshua Hoehne

Jedes 33. Wort dieser sonntäglichen Ausgabe von Degitalisierung wird im Mittel mittelmäßig sein. Denn in dieser Ausgabe geht es um so mittelmäßige Software wie Microsoft Office. Es geht um mittleres Management und Abhängigkeiten und die Frage, wie wir aus dieser Mittelmäßigkeit wieder herauskommen. Und vor allem: Warum wir schnellstens aus der Abhängigkeit von mittelmäßigen Digitalisierungslösungen heraussollten. Und keine Sorge: Es geht nicht um den Begriff der „Digitalen Souveränität“, der nur mittelmäßig weiterhilft in diesem Kontext.

Aber eins nach dem anderen. Die Schlagworte Office, Clouds und Lobbyismus häuften sich in den vergangenen Wochen im Dunstkreis der öffentlichen Verwaltung. Da war die Bundesverwaltung, die mit einer „souveränen“ Microsoft-Cloud einerseits eine mittelmäßig saubere Lösung für die Verwendung von Microsoft Office in der Verwaltung schaffen wollte, dabei aber implizit die Abhängigkeit zu Microsoft weiter verstärken wird.

Dann kam das Bundeskartellamt, das die „überragende marktübergreifende Bedeutung“ von Microsoft würdigt und das Unternehmen eben nicht mehr nur als nur mittelmäßigen Marktteilnehmer sieht. Zukünftig wird die Behörde wohl strenger gegen die Praktiken des Unternehmens aus Redmond vorgehen.

Zuletzt folgte dann der Lobbyismus. Massiver Lobbyismus seitens Microsofts, wie ihn die Antworten auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Anke Domscheit-Berg (Linkspartei) offenlegten. Viele Treffen mit Ministerien und Bundesbehörden. Für Rahmenverträge in Milliardenhöhe. Im Gegensatz zur sonstigen Mittelmäßigkeit der Software-Lösungen ist das eher Spitzenklassen-Lobbyismus.

Empowerment für mittleres Management

Um genauer zu verstehen, warum Microsoft neben seiner Marktdominanz im Bereich der Betriebssysteme mit seinen mittelmäßigen Office-Softwarelösungen so mächtig werden konnte, empfiehlt sich ein Blick auf einen Werbespot für Microsoft Excel aus dem Jahr 1990. Er fasst hervorragend zusammen, warum sich mittelmäßige Lösungen wie Microsoft Excel speziell im mittleren Management so gut verkauft haben – bis zur vollkommenen Abhängigkeit von eben diesen mittelmäßigen Lösungen.

Eine Kurzzusammenfassung des Werbespots für Microsoft Excel:

Zwei Business-Typen, mittleres Management, haben eine wichtige Präsentation von Finanzzahlen beim Vorstand. Beide sind aber nicht vorbereitet. Business-Typ 1 ist in Panik, Business-Typ 2 bereitet auf seinem Notebook im Aufzug die Zahlen in Microsoft Excel noch schnell auf. Dank der integrierten Funktionen von Excel erhalten Sie noch während der Aufzugfahrt noch eine passable Darstellung von Zahlen mit logisch richtigen Werten. Am Ende steht eine mittelmäßige Tabelle mit 12 Zahlenwerten ohne tiefere Bedeutung oder Zweck.

Für das Jahr 1990 mögen die Funktionen des Officepakets noch wie Magie gewirkt haben. Weiterführen von Zahlenreihen, Drag-and-drop, fertige Designs, damit am Ende ganz mittelmäßige Tabellen schnell erstellt werden können. Kein digitales Meisterwerk, aber ganz mittelmäßig okay. Und irgendwie ganz bequem und schnell angelegt, fürs mittlere Management reicht es aus.

Inzwischen aber ist die Abhängigkeit von Microsoft-Produkten ein Problem. Mittleres Management kommt quasi nicht mehr weg von dem mittelmäßigen (Software-)Stoff, vor allem in oberen Verwaltungshierarchien im Bund und Ländern, aber nicht nur dort.

Mehr als dreißig Jahre später trommelt selbst die Spitzenbesetzung des Kanzleramts offensiv für die Aufrechterhaltung des Status quo an mittelmäßiger Office-Software von Microsoft. Kanzler Scholz, sonst im Digitalen eher so mittelmäßig aktiv, setzt sich höchstpersönlich für die „souveräne“ Office-Variante von Delos / SAP ein.

Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt mischt auch mit, indem er die Open-Source-Alternative openDesk als „den geladenen Colt auf die Brust Microsoft“ bezeichnet – so zumindest die Aussage auf einer Digitalveranstaltung der SPD im vergangenen Jahr. Am Ende geht es gar nicht darum, der gefährlichen Abhängigkeit von Microsoft zu entkommen, sondern schlichtweg nur noch um bessere Bedingungen für mittelmäßige Software.

Mutierte Gene

Grundsätzlich wirken manche Office-Software-Bestandteile heute gar nicht mehr so mittelmäßig. Excel ist inzwischen Turing-vollständig, damit universell programmierbar und laut Aussage von Microsoft „die weltweit am häufigsten verwendete Programmiersprache“.

Allerdings ist das in der Gesamtbetrachtung vielleicht nicht unbedingt die beste Idee, Excel zu einem universellen Werkzeug zu machen. Nach einer langfristigen Studie sind sehr, sehr viele Excel-Tabellen inkorrekt und enthalten teils schwerwiegende Fehler. Erkenntnis dabei: Das Empowerment beliebiger Angestellter, mittels einer Turing-vollständigen Programmiersprache irgendwas mit mittelmäßiger Qualitätssicherung anlegen zu können, ist nicht unbedingt von Vorteil. Speziell in kritischen oder teuren Anwendungen.

Im Jahr 2012 gingen JPMorgan 6,2 Milliarden US-Dollar wegen eines Copy-Paste-Fehlers zwischen Excel-Tabellen verloren. 2020 kamen in Großbritannien 16.000 Covid-Testergebnisse in Excel-Tabellen abhanden, weil durch die Längenbeschränkungen von Exceldateien alte Ergebniszeilen überschrieben wurden. Im gleichen Jahr mussten menschliche Gene umbenannt werden, damit deren Bezeichnungen nicht mit der Autoformat-Funktion von Excel kollidieren.

Excel, Word, PowerPoint und andere Microsoft-Produkte sind also digital so allgegenwärtig, dass die reale Welt an die mittelmäßige technische Leistungsfähigkeit von Office-Software angepasst werden muss.

Helfen würde hier die Erkenntnis, dass Excel zwar eine Art von Lösung sein kann, in den meisten Fällen aber nur eine mittelmäßige. Nur ist oftmals das mittlere oder obere Management seltsam stolz auf die in Excel, Word oder PowerPoint zusammengeklöppelten Lösungen. Nicht selten wird hier Mittelmäßiges durch den IKEA-Effekt psychologisch zu etwas Besonderem. Vielleicht nicht unbedingt besonders gut gemacht, vielleicht nicht unbedingt besonders schön umgesetzt, aber doch irgendwie als wertvoll angesehen von den Kreateur*innen, weil mittelmäßig selbst gemacht.

Elektrische Datenknäuel

Dabei sind Office-Dateien an sich eher eine Art elektrische Datenknäuel, aus denen eigentlich wichtige Daten nur sehr mühsam zu extrahieren sind. So mittelmäßig gut strukturiert sind deren Datenstrukturen. Klar, für mittleres Management, das schnell textliche Anweisungen oder individuelle Tabellen anlegen will, mag das funktionieren. Für das digitale Massengeschäft in der Verwaltung und Gesundheitswesen ist die hohe Durchdringung mit unstrukturierten Office- oder PDF-Dateien – ebenfalls lange vorangetrieben von Microsofts Konkurrenten Adobe – digitales Gift.

Die Hoffnung, dass „KI“ jetzt dabei hilft, diese Daten in unstrukturierten Datenformaten endlich digital nutzbar zu machen, ist nichts anderes als Ausdruck eines gerade einmal mittelmäßigen Verständnisses von Digitalisierung. Es ist ein Zeichen gleichzeitiger Ohnmacht gegenüber der eigenen strukturellen Abhängigkeit, aus der vermeintlich nur weitere digitale Magie helfen kann. Die Hoffnung, „KI in allen Bereichen“ des Gesundheitswesens einzuführen, auch im Bereich der Interoperabilität, ist das Eingeständnis, Digitalisierung nicht in der Tiefe verstanden zu haben. Zu bequem waren lange die mittelmäßigen Datenknäuel aus der Office-Welt.

Dass ausgerechnet jetzt Microsoft einer der Vorreiter im Bereich sogenannter Künstlicher Intelligenz sein will, der zusammen mit Partnern magisch aus unstrukturierten Datenknäuel wieder ganz andere sinnvolle digitale Anwendungen ermöglichen will, wirkt geradezu zynisch. Nicht nur mittelmäßig, sondern spitzenmäßig zynisch.

Natürlich gibt es diese magischen Produkte wie Office 365 oder Copilot zukünftig nur noch in Clouds oder exklusiv mit dem Betriebssystem des gleichen Herstellers, bei denen das Label „souverän“ zumindest das Gefühl vermitteln soll, volle Kontrolle darüber zu behalten.

Nieder mit dem Mittelmaß

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es nicht reichen wird, eine mittelmäßig bessere Alternative zu Microsoft Office zu schaffen, wie etwa die Delos Cloud. Auch keine „digital souveräne“ Open-Source-Alternative wie openDesk kann uns aus dieser digitalen Mittelmäßigkeit heraushelfen.

Den Weg aus dem Mittelmaß bereitet zuallererst die Schaffung von echter digitaler Kompetenz im mittleren Management, insbesondere in Verwaltung und Gesundheitswesen. Es braucht ein mittleres Management, das den KI-Sprachmodell-Hype von genuiner Digitalisierung trennscharf unterscheiden kann. Ein mittleres Management, das „KI“ nicht als ein weiteres Mittel zur Kostensenkung bei gleichzeitiger Verachtung der Kompetenzen von Grafiker*innen, Texter*innen oder Fotograf*innen sieht. Bloß weil deren Tätigkeiten jetzt mit irgendeiner Applikation vermeintlich schneller und billiger erledigt werden können, führt dies ja nicht zu irgendwas Besserem als Mittelmaß.

Aus einer digital mittelmäßigen Welt wird uns keine mittelmäßige „KI“ führen, sondern nur digitale Kompetenzen, die wir uns alle individuell erarbeiten müssen. Das Digitale und seine Abhängigkeiten in seiner Tiefe zu verstehen, wird uns keine „KI“ abnehmen können – und schon gar nicht Microsoft. Nieder mit dem Mittelmaß.

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KW 41: Die Woche, in der wir das Vermummungsverbot in Frage stellen

netzpolitik.org - 12 Oktober, 2024 - 08:27

Die 41. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 21 neue Texte mit insgesamt 142.710 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Liebe Leser*innen,

das Verbot, auf Demonstrationen sein Gesicht zu verhüllen, gilt in Deutschland schon so lange ich denken kann. Ich weiß nicht mehr, welche meine erste Demo war. Am besten erinnere ich mich aber an die Demos Anfang der 2000er in Hamburg. Es war während der kurzen Amtszeit des damaligen Innensenators und heutigen Wahl-Brasilianers Ronald Schill, dem „Richter Gnadenlos“, der als eine Art früher Vorläufer der AfD in Hamburg Regierungskarriere machte.

Egal ob wir gegen den Ausverkauf der Stadt demonstrierten, gegen die Räumung eines Bauwagenplatzes oder gegen Schill selbst: Jede unserer Demonstrationen wurde damals flankiert von einer langen Reihe Polizist:innen, die in ihren Helmen und Schutzanzügen aussahen wie grüne Space Trooper.

Das war einschüchternd und wir machten uns Sorgen um alle möglichen Dinge, eingekesselt werden etwa. Um eine Sache aber weniger: auf der Demo gefilmt und identifiziert zu werden. Es gab damals einfach nicht die technologischen Voraussetzungen dafür, um anhand einer Aufnahme leicht identifiziert zu werden.

Schill ist weg, die biometrische Suche da

Das ist inzwischen anders. Schill ist zwar lange weg. Dafür ist aber etwas Neues da. Mit frei im Netz verfügbaren Suchmaschinen wie PimEyes kann man heute alle möglichen Treffer zu einem Gesicht im Internet finden, eine Aufnahme der Person reicht. Der eigene Name, vielleicht auch die Adresse oder Arbeitsstelle, das ist damit nur noch ein paar Klicks entfernt von einem Schnappschuss, den jemand auf einer Demo macht.

Was bedeutet das für das pauschale Vermummungsverbot auf Demonstrationen? Darum hat sich mein Kollege Martin Schwarzbeck Gedanken gemacht. Sein Beitrag hat mich diese Woche am meisten beschäftigt. Was hat es eigentlich für Auswirkungen auf ein so wichtiges Grundrecht wie die Versammlungsfreiheit, wenn man sich vor jeder Demo überlegen muss, welches Risiko man mit der Teilnahme daran eingeht? Wäre ich damals auf all diese Demos gegangen, wenn ein Law-and-Order-Innensenator wie Schill uns anhand unserer Gesichter hätte identifizieren lassen können? Seinen Personalausweis kann man zu Hause lassen, auch das Telefon. Das Gesicht nicht. Es ist ein Risiko, das sich nicht mindern lässt.

In Deutschland darf die Polizei biometrische Suchmaschinen nach dem Vorbild von PimEyes bisher nicht einsetzen. Sie darf sehr wohl einen biometrischen Abgleich von Gesichtern machen, aber bislang nur mit ihren eigenen Datenbanken aus erkennungsdienstlichen Maßnahmen, nicht mit der Gesamtheit des öffentlichen Internets. Mit dem geplanten „Sicherheitspaket“ soll sich das ändern. Dann können nicht nur Privatpersonen mit einer Aufnahme nach dem eigenen Gesicht im Internet suchen, sondern auch Ermittlungsbehörden. Dazu muss man nicht mal selbst einer Straftat verdächtig sind: Auch Zeug*innen soll die Polizei auf diesem Weg identifizieren dürfen.

Maske abnehmen oder Demo verlassen

Die zivilgesellschaftlichen Organisationen, mit denen Martin sprach, von Amnesty International bis zur Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), fordern deswegen: Das pauschale Vermummungsverbot gehört abgeschafft. „Vernünftig wäre es, das Vermummungsverbot so auszulegen, dass es nur gilt, wenn Straftaten begangen werden oder drohen“, sagt etwa der Jurist David Werdermann von der GFF. Im Idealfall müsse es vorher von der Polizei angeordnet werden. Dann könnte man immer noch entscheiden, ob man die Maske abnimmt oder die Demo lieber verlässt.

Welche Ideen hätte ein Innensenator Schill wohl damals bekommen mit einer Hamburger Polizei, die einzelne Demonstrant*innen per Gesicht im Netz nachschlagen kann? Okay, Schill ist schon lange weg, sein Rauswurf löste damals eine der schönsten spontanen Demos in Hamburg aus, den „Schill-Out“. Sein rechtspopulistisches Erbe trägt heute aber die AfD weiter. Was würde die wohl anstellen mit einer Rechtslage, wie sie derzeit dem Bundesinnenministerium vorschwebt: Vermummung auf Demos pauschal verboten, die biometrische Suche im Netz für die Polizei aber erlaubt?

Gut erkennbare Grüße aus der Redaktion

Chris

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Wir sprechen mit Katarzyna Szymielewicz, Präsidentin der polnischen NGO Panoptykon Foundation. Wie hat sich die Situation für digitale Rechte verändert, seit Donald Tusk die Regierung übernommen hat? Was passiert an der Ostgrenze des Landes? Wie steht es um die Untersuchung zu Pegasus? Und sitzen wir alle in einem sinkenden Schiff? Von Maximilian Henning –
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Justizministerium: Staatstrojaner sollen weiter Einbrecher überführen

Bei Ermittlungen nach Einbrüchen soll die Polizei weitere fünf Jahre Kommunikation überwachen dürfen. Ursprünglich war das nur bei Verdacht auf eine Bande erlaubt, 2019 fiel diese Voraussetzung vorübergehend weg. Eine Evaluation sollte zeigen, ob das sinnvoll ist, doch dann kam Corona. Von Anna Biselli –
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Gesichtserkennung in Sachsen: Datenschutzbeaufragte kritisiert biometrische Videoüberwachung als verfassungswidrig

Sachsens Datenschutzbeauftragte kritisiert die biometrische Überwachung in der Region Görlitz scharf. Sie hält das Vorgehen für „höchst bedenklich“ und verfassungswidrig. An Polizei und Staatsanwaltschaften richtet sie den Appell, diese Form der Überwachung vorerst zu unterlassen. Von Markus Reuter –
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US-Gerichtsurteil: Google muss seinen Play Store weiter öffnen

Im Vorjahr hat eine Jury festgestellt, dass Google seine Marktmacht im Mobilbereich missbraucht. Nun hat ein US-Bundesrichter dem IT-Unternehmen konkrete Auflagen gemacht, damit mehr Wettbewerb inner- und außerhalb des Play Stores einzieht. Von Tomas Rudl –
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Verbraucherschutz: Saugroboter von Ecovacs als Spion in der Wohnung

Ein Saugroboter der Marke Ecovacs war nicht nur leicht zu hacken, sondern gibt auch zahlreiche intime Daten über die Nutzer:innen an das Unternehmen weiter. Die Datenschutzeinstellungen, das zu verhindern, sind gut versteckt. Von Markus Reuter –
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Niederländische Digital-NGO: Bits of Freedom wird 25

Seit 25 Jahren setzt sich Bits of Freedom für digitale Grund- und Bürgerrechte ein. Die niederländische Nichtrechtregierungsorganisation kann auf beachtliche Erfolge zurückblicken und ist auch in der EU eine feste Größe. Vielen Dank für das Engagement und herzlichen Glückwunsch! Von Ben Bergleiter, Ingo Dachwitz –
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Sachverständige: Wie man politische Forderungen einbringt und rechtliche Grenzen absteckt

Wer erarbeitet die schriftlichen Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen im Bundestag und aus welcher Motivation heraus? In welcher Atmosphäre finden Sachverständigenanhörungen statt? Wir sprechen mit Simone Ruf von der Gesellschaft für Freiheitsrechte über Parlamentsausschüsse, die Beteiligung der Zivilgesellschaft und wie man in 24 Stunden 88 Seiten Gesetzentwurf bewertet. Von Constanze –
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Schengen-Raum: EU-Kommission will digitalen Reisepass einführen

Die EU-Kommission will Ausweiskontrollen beschleunigen. Mit Hilfe einer App sollen sich Reisende schon vor Antritt einer Reise ausweisen können. Auch Nicht-EU-Bürger:innen sollen die App nutzen können. Zum Datenschutz macht die Kommission noch keine genauen Angaben. Von Maximilian Henning –
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Automatisierte Gesichtserkennung: Wie das Vermummungsverbot Menschen und Grundrechte gefährdet

Es gibt gute Gründe, auf Versammlungen das Gesicht zu verhüllen. Filmende Neonazis und Polizist*innen zum Beispiel – und die wachsende Bedrohung durch automatisierte biometrische Identifikation. Amnesty International, die Gesellschaft für Freiheitsrechte und die Humanistische Union fordern ein Ende des pauschalen Vermummungsverbotes. Von Martin Schwarzbeck –
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Andreas Scheuer: Von diabolischen Kräften aus dem Stadtrat vertrieben

Wir alle haben ihn in guter Erinnerung als äußerst erfolgreichen Verkehrs- und Digitalminister. Unvergessen sein Einsatz gegen Funklöcher und für eine Pkw-Maut. Doch wie kam es dazu, dass der beliebte Politiker von „Steigbügelhaltern der Bösartigkeit“ zum Rücktritt aus dem Passauer Stadtrat gedrängt wurde? Eine Glosse. Von Markus Reuter –
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Interne Dokumente: Ungarn scheitert an Einigung zur Chatkontrolle

Die EU-Innenminister haben heute nicht über die Chatkontrolle abgestimmt. Zu viele Staaten lehnen auch den aktuellen Vorschlag ab. Damit ist Ungarn im ersten Anlauf gescheitert, eine Einigung zu organisieren. Wir veröffentlichen ein eingestuftes Verhandlungsprotokoll. Von Andre Meister –
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Ampel-Pläne: Zwei grüne Abgeordnete stellen sich gegen Überwachungspaket

Plötzlich kommt aus der grünen Bundestagsfraktion doch noch offene Kritik am geplanten Sicherheitspaket. Im Fokus steht dabei vor allem die geplante Gesichtserkennung. Wir haben uns die Kritikpunkte angeschaut. Von Markus Reuter –
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Unzulässige Zusammenführung von Daten: Meta beugt sich dem Bundeskartellamt

Jahrelang hatte sich der Werbekonzern Meta erbittert gegen eine Entscheidung des Bundeskartellamts gewehrt. Die Behörde hatte dem Unternehmen Missbrauch von Marktmacht vorgeworfen und die unzulässige Zusammenführung von Daten untersagt. Heute hat das Verfahren sein Ende gefunden, während das nächste in den Startlöchern steht. Von Tomas Rudl –
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Australien: Auto-Hersteller geben biometrische Daten der Kunden an Dritte weiter

Moderne Autos sind ein Datenschutzalbtraum. Australische Verbraucherschützer haben herausgefunden, dass Marken wie Kia, Hyundai und Tesla Sprachaufnahmen aus dem Innenraum auch mit Drittfirmen teilen. Das veraltete Datenschutzgesetz des Landes verhindert eine solche Praxis nicht. Von Markus Reuter –
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Umstrittenes Gesetz: Ampel verkündet Einigung beim Überwachungspaket

Jetzt geht es plötzlich wieder ganz schnell: Die Ampel will sich beim umstrittenen Überwachungspaket geeinigt haben. Um welche Änderungen es sich handelt, sagt die Koalition bisher nicht. Von Markus Reuter –
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Open Source: Bundestag stärkt Sovereign Tech Fund

Der Bund investiert massiv in proprietäre Software, Ausgaben für Open-Source-Projekte fallen dagegen spärlich aus. Jetzt bekommt eines der größten Förderprogramme für Open Source rund 4 Millionen Euro zusätzlich für das kommende Jahr. Abgeordnete bezeichnen das als „effektive Investition in IT-Sicherheit“. Von Esther Menhard –
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Big Brother Awards: Negativpreise für Karl Lauterbach und Polizei Sachsen

Bei den Oscars für Überwachung werden neben dem Gesundheitsminister, die Polizei Sachsen, die Deutsche Bahn, die Handelsplattformen Temu und Shein sowie der Trend des Technikpaternalismus ausgezeichnet. Von Markus Reuter –
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Big Brother Awards: Negativpreise für Karl Lauterbach und Polizei Sachsen

netzpolitik.org - 11 Oktober, 2024 - 18:00

Bei den Oscars für Überwachung werden neben dem Gesundheitsminister, die Polizei Sachsen, die Deutsche Bahn, die Handelsplattformen Temu und Shein sowie der Trend des Technikpaternalismus ausgezeichnet.

Der Big Brother Award. (Archivbild) – CC-BY-SA 2.0 digitalcourage / Justus Holzberger

In Bielefeld werden heute die Big Brother Awards in fünf unterschiedlichen Kategorien vergeben. Der Datenschutz-Negativpreis, der auch als „Oscars der Überwachung“ bezeichnet wird, existiert seit dem Jahr 2000. Preisträger:innen sind Organisationen, Behörden, Unternehmen und Einzelpersonen, die gegen Datenschutz und Privatsphäre handeln.

Diesjähriger Preisträger in der Kategorie „Gesundheit“ ist Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Er erhält den Preis für den von ihm mit verantworteten Europäischen Gesundheitsdatenraum und dessen nationale Umsetzung, das Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Die beiden Gesetze erlauben laut dem Big Brother Award nach einem weitgehend unbestimmten Verfahren mit unzureichenden Schutzvorkehrungen die Verarbeitung hochsensibler Gesundheitsdaten.

In der Kategorie „Trend“ geht der Preis diesmal nicht an eine konkrete Organisation, sondern an den „Technikpaternalismus“. Die Veranstalter verstehen diesen Preis als Hinweis auf ein größeres Problem: „Technik, die uns bevormundet, gängelt und nervt mit Besserwisserei, die Menschen Entscheidungen abnimmt, sie lückenlos überwacht, keinerlei Abweichungen, Ausnahmen oder gar Individualismus erlaubt.“ Als Beispiele nennt die Jury nervtötende Warntöne in Zügen oder Apps und Suchmaschinen, die quasi für uns entscheiden.

Biometrische Überwachung bei Polizei Sachsen

Die Polizei Sachsen erhält den Preis der Kategorie „Behörden und Verwaltung“ für ihr „videogestütztes Personen-Identifikations-System“, mit dem Tatverdächtige in Ermittlungsverfahren ausfindig gemacht werden sollen. Wir haben darüber schon mehrfach berichtet. Bei dieser Form der Überwachung kommen stationäre und mobile Kameras zum Einsatz, die eine Vielzahl von Unbeteiligten biometrisch erfassen.

In der Kategorie „Mobilität“ erhält die Deutsche Bahn einen Preis für den Digitalzwang. Das Unternehmen setze alles daran, unüberwachtes Bahnfahren unmöglich zu machen: „Immer mehr Fahrkarten bietet die Bahn nur noch digital und personalisiert an, die BahnCard wurde als physische Karte abgeschafft“, heißt es in der Pressemitteilung. Fahrgäste sollten so zur Nutzung der App „DB Navigator“ gedrängt werden, die Tracker einsetzt, die man nicht ablehnen könne.

Der Big Brother Award in der Kategorie „Verbraucherschutz“ geht an die Handelsplattformen Temu und Shein und deren Niederlassungen in Irland. Mit dem Preis soll gewürdigt werden, dass „beide Anbieter die Rechte von Nutzern und Kunden durch ihre Datenschutzgrundsätze und Allgemeinen Geschäftsbedingungen maximal begrenzen oder ganz ausschließen.“

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Open Source: Bundestag stärkt Sovereign Tech Fund

netzpolitik.org - 11 Oktober, 2024 - 16:49

Der Bund investiert massiv in proprietäre Software, Ausgaben für Open-Source-Projekte fallen dagegen spärlich aus. Jetzt bekommt eines der größten Förderprogramme für Open Source rund 4 Millionen Euro zusätzlich für das kommende Jahr. Abgeordnete bezeichnen das als „effektive Investition in IT-Sicherheit“.

Die Gründerinnen Adriana Groh und Fiona Krakenbürger nutzen die neuen Mittel, um die Arbeit des Sovereign Tech Fund auszubauen. – Alle Rechte vorbehalten STF; Bearbeitung: netzpolitik.org

Hatte die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag noch groß angekündigt, mehr in Open-Source-Software investieren zu wollen, waren ihre Bemühungen in den letzten Jahren doch eher zaghaft. Immer wieder verweist sie auf das Zentrum für digitale Souveränität (ZenDiS) oder den Sovereign Cloud Stack (SCS) als Vorzeigeprojekte.

Das ZenDiS erhielt für 2024 gerade einmal 19 Millionen Euro vom Bund, der SCS vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für dreieinhalb Jahre insgesamt 13,2 Millionen Euro.

Dagegen saßen die Mittel für proprietäre Software recht locker. So belaufen sich etwa Rahmenverträge (PDF) mit Oracle und Microsoft auf insgesamt 6 Milliarden Euro, ein Einzelvertrag mit Oracle über 4,6 Milliarden Euro läuft noch bis zum Jahr 2030.

„Open Source als Rückgrat digitaler Infrastruktur“

Nun hat der Haushaltsausschuss des Bundestages Mittel für den Sovereign Tech Fund (STF) aufgestockt und bewegt sich einen kleinen Schritt in Richtung Open-Source-Versprechen der Bundesregierung. Der Fund soll 2025 gut 4 Millionen Euro erhalten zusätzlich zum Regierungsentwurf in Höhe von 15 Millionen. Die Mittel für 2023 lagen bei 11,5 Millionen Euro, für 2024 bei 17 Millionen.

Die Entscheidung, den Fund weiter zu fördern, sei „ein starkes Zeichen für die digitale Zukunft Deutschlands“, sagt Anna Kassautzki, digitalpolitische Berichterstatterin der SPD. Denn die Haushaltsmittel seien begrenzt. In freie und offene Software (FOSS) zu investieren, stellt sie als alternativlos dar. FOSS bilde das „Rückgrat digitaler Infrastruktur“ und mache „unabhängiger von großen Anbietern“.

Auch Maik Außendorf, digitalpolitischer Sprecher der Grünen, betont, wie wichtig der Fund ist. Zwar würden alle – Privatleute, öffentliche Verwaltung, Wirtschaft – Open-Source-Software nutzen. Zentrale Open-Source-Projekte seien häufig allerdings unterfinanziert und vom Engagement einzelner Entwickler:innen abhängig.

Kritische digitale Infrastruktur stärken

Der STF ist ein Förderprogramm des Wirtschaftsministeriums und seit November 2023 als Tochtergesellschaft der Bundesagentur für Sprunginnovationen GmbH (SPRIND) verstetigt. Die zwei Gründerinnen Adriana Groh und Fiona Krakenbürger verstehen den STF als Teil der Daseinsvorsorge. Ihre Mission ist laut einer Machbarkeitsstudie (PDF) von 2021, „das Open-Source-Ökosystem nachhaltig zu stärken, mit einem Fokus auf Sicherheit, technologische Vielfalt und die Menschen hinter den Projekten“.

Sie wollen Entwickler:innen von Open-Source-Software finanziell unter die Arme greifen, um sicherzustellen, dass kritische digitale Infrastruktur erhalten bleibt. Software, die wiederum selbst Baustein für die Software-Entwicklung ist, müsse man pflegen wie andere Infrastruktur auch, wie Straßen, Brücken, Stromnetze, sagt Groh gegenüber netzpolitik.org über die Arbeit des Funds. Im Mai 2022 vergab der Bund die ersten Mittel an den STF.

Seitdem hat der Fund anhand eines Kriterienkatalogs 194 Technologie-Projekte identifiziert, die im Sinn des öffentlichen Interesses kritische Software sind. In 54 Projekte hat er bereits investiert. Laut Webseite belaufen sich die Investitionen bislang auf 23,5 Millionen Euro. Zudem gibt es eine Plattform, bei der sich Projekte um Förderung bewerben können.

Sovereign Tech Fund blickt optimistisch in die Zukunft

Die Mittel für das Bug-Resilience-Projekt des STF hat der Bund außerdem auf 2 Millionen Euro aufgestockt. Damit sollen Entwickler:innen dabei unterstützt werden, Fehler im Code offener Software zu beheben. Die Grünen-Abgeordnete Sabine Grützmacher erklärte dazu: „Ich kenne kein Programm der Bundesregierung, das investierte Euros effektiver in IT-Sicherheit umwandelt als das Bug-Resilience-Projekt.“ Mit Blick auf massive IT-Sicherheitsvorfälle in Behörden sei das Projekt besonders wichtig. „Wir wollen Schwachstellen nicht nur erkennen, sondern diese auch unverzüglich schließen.“

Das junge Programm hat an Fahrt aufgenommen. Das Team des STF habe sich bereits bei der UN und in der EU vorgestellt und dort großen Zuspruch erhalten, so Groh. Die Investitionen des Funds in Open-Source-Projekte wie Curl oder FreeBSD erregen auch die Aufmerksamkeit der internationalen Presse.

Die bewilligten Mittel wertet Groh als besondere Bestätigung ihrer Arbeit. Mit den zusätzlichen Mitteln könne der Fund in mehr kritische Projekte als bisher investieren wie auch in Instrumente, um digitale Basistechnologien aufzubauen. Das Geld kann auch in neue Felder fließen. Neben dem Bug-Resilience-Programm hat der Fund ein Fellowship ins Leben gerufen für Menschen, die sich um die Pflege von Software kümmern.

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Umstrittenes Gesetz: Ampel verkündet Einigung beim Überwachungspaket

netzpolitik.org - 11 Oktober, 2024 - 16:43

Jetzt geht es plötzlich wieder ganz schnell: Die Ampel will sich beim umstrittenen Überwachungspaket geeinigt haben. Um welche Änderungen es sich handelt, sagt die Koalition bisher nicht.

Grünes Licht für das Überwachungspaket der Ampel. (Symbolbild) – Public Domain generiert mit Midjourney

Die Ampel-Regierung hat sich beim sogenannten Sicherheitspaket verständigt. Das teilten die Fraktionen am Freitagnachmittag mit. Das Gesetzespaket, das in der bekannten Version Verschärfungen in der Asylpolitik ebenso vorsieht wie einen Ausbau der biometrischen Überwachung und anlasslose Kontrollen durch die Polizei, hatte in einer Sachverständigenanhörung heftige Kritik ausgelöst. Zudem hatten sich zahlreiche Mitglieder und Abgeordnete der SPD gegen die Asylverschärfungen ausgesprochen. Bei den Grünen gab es Unmut wegen der ausufernden Überwachungsbefugnisse.

Welche Art von Änderungen die Ampel nun am Gesetzespaket vorgenommen haben will, sagten Vertreter:innen der Koalition nicht. In einer gemeinsamen Stellungnahme erklärten die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Konstantin von Notz (Grüne), Dirk Wiese (SPD) und Konstantin Kuhle (FDP):

Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben die parlamentarischen Beratungen zum Sicherheitspaket der Bundesregierung abgeschlossen. Die Regelungen zu Migration, zu neuen Ermittlungsbefugnissen für die Sicherheitsbehörden des Bundes und zum Waffenrecht werden im Lichte der Sachverständigenanhörung im Bundestag geändert.

Harte Kritik am Überwachungspaket

 

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) versandte ein Pressestatement, in dem es heißt:

Ich freue mich sehr über die Einigung in der Koalition, die wir in konstruktiven und guten Gesprächen erreicht haben. Unser Sicherheitspaket stärkt die innere Sicherheit unseres Landes. Es ist nach dem mörderischen Anschlag von Solingen die richtige Antwort auf die erheblichen aktuellen Bedrohungen insbesondere durch islamistischen Terrorismus. Auch den Schutz vor Gewaltkriminalität stärken wir erheblich durch Verschärfungen des Waffenrechts, durch stärkere polizeiliche Kontrollbefugnisse und durch die konsequente Ausweisung und Abschiebung ausländischer Gewalttäter.

Laut der Erklärung der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden will die Koalition die Änderungen am kommenden Mittwoch in den Innenausschuss des Bundestages einbringen und strebt einen Beschluss des Überwachungspakets im Bundestag schon in der kommenden Sitzungswoche an. So will die Ampel erreichen, dass der Bundesrat schon am 18. Oktober beraten kann.

Nach kurzer Pause erhöht die Koalition damit wieder das Tempo. Zuvor hatten zivilgesellschaftliche Organisationen das Durchpeitschen des Gesetzes im Bundestag kritisiert.

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Australien: Auto-Hersteller geben biometrische Daten der Kunden an Dritte weiter

netzpolitik.org - 11 Oktober, 2024 - 16:03

Moderne Autos sind ein Datenschutzalbtraum. Australische Verbraucherschützer haben herausgefunden, dass Marken wie Kia, Hyundai und Tesla Sprachaufnahmen aus dem Innenraum auch mit Drittfirmen teilen. Das veraltete Datenschutzgesetz des Landes verhindert eine solche Praxis nicht.

Moderne Autos sammeln zahlreiche Daten über die Umgebung, das Fahrzeug und sogar über Insassen im Innenraum. (Symbolbild) – Public Domain generiert mit Midjourney

Eine Untersuchung der Verbraucherschutzorganisation Choice hat ergeben, dass die meisten bekannten Automarken in Australien Daten über die Fahrer:innen sammeln und weitergeben. Die Daten reichen von Bremsmustern über Videoaufzeichnungen bis hin zu Spracherkennungsdaten aus dem Inneren ihrer Autos, berichtet der Sender ABC.

Die Verbraucherschutzorganisation hat sich die Datenschutzbestimmungen der zehn meistverkauften Automarken des Landes angesehen und konkret bei diesen Unternehmen nachgefragt. Sieben der Hersteller teilen Daten ihrer Kund:innen mit anderen Unternehmen. Am schlechtesten schnitten bei der Untersuchung Kia, Hyundai und Tesla ab, die Videoaufnahmen und/oder biometrische Aufnahmen wie die Stimme der Insassen des Fahrzeugs mit Drittfirmen teilen und teilen dürfen. Datenschutzmäßig am besten hingegen schnitten in Australien die japanischen Hersteller Subaru, Isuzu und Mitsubishi ab.

Biometrische Daten betroffen

Der Hersteller Kia gibt laut der Untersuchung an, dass er Daten über die Nutzung der Spracherkennungstechnologie sammelt und diese Daten in zusammengefasster und identifizierender Form an Cerence, einen „Drittanbieter von Sprach- und KI-Innovationsprodukten für die Automobilindustrie“ weitergibt. Cerence ist ein in den USA ansässiges Unternehmen, das sich selbst als „globaler Branchenführer“ für KI-gestützte Interaktionen im Transportwesen bezeichnet. Hyundai gibt ebenfalls Spracherkennungsdaten an Cerence weiter.

Tesla sammelt Sprachbefehlsdaten sowie nach eigener Auskunft „kurze Videoclips und Bilder“, die von der Kamera an Bord des Fahrzeugs aufgenommen werden. Das Unternehmen gibt auch einige Daten an Dritte weiter. Teslas Datenschutzrichtlinie versichert den Fahrer:innen, dass die Daten „Datenschutztechniken“ unterliegen, die „nicht mit Ihrer Identität oder Ihrem Konto verknüpft“ sind, erklärt aber nicht, um welche Datenschutztechnik es sich dabei handelt.

Keine transparente Zustimmung

Laut Bericht erlauben die Datenschutzbestimmungen in Australien, Daten aus den Fahrzeugen mit Versicherungsunternehmen zu teilen. Noch gibt es keinen Beweis, dass dies auch wirklich geschieht. Doch Choice geht davon aus, dass dies bald passieren dürfte. Das könnte dazu führen, dass die Versucherungspolicen je nach Fahrverhalten angepasst werden.

Die weitgehende Datensammlung ist laut ABC in Australien legal, weil die Kund:innen ihnen – zumindest formal – zustimmen. Die Art und Weise, wie diese Zustimmung geschieht sei aber nicht transparent, sie sei oftmals mit dem Kauf des Fahrzeugs oder dem Download der zugehörigen App verbunden. Choice geht davon aus, dass die meisten Kund:innen sich nicht bewusst seien, zu was sie eigentlich zustimmen.

Dazu kommt, dass ein Widerspruch gegen die Datensammlung zu einer eingeschränkten Funktionalität des Fahrzeugs führen kann. Im Fall von Toyota könnten Kund:innen sogar einen Teil ihrer Garantie verlieren, wenn sie das Datenkommunikationsmodul vollständig entfernen, schreibt Choice.

Die Verbraucherschutzorganisation fordert deswegen eine Reform des australischen Datenschutzgesetzes von 1988. Dieses Gesetz sei völlig veraltet und „für einen Markt, in dem Autos mit biometrischen Scannern ausgestattet sind und Fahrdaten massenhaft gesammelt werden, nicht mehr zweckmäßig“. Ein neues Gesetz müsse die Autofahrer vor dem Übermaß an Daten durch Automobilunternehmen  schützen.

Ergebnisse der Untersuchung der australischen Datenschutzbestimmungen:

  • Tesla: Erfasst Sprach- und Videodaten und gibt einige Daten an Dritte weiter
  • Hyundai: Erfasst und gibt Spracherkennungs- und andere Daten an Dritte weiter
  • Kia: Erfasst und gibt Spracherkennungs- und andere Daten an Dritte weiter
  • Mazda: Erfasst und gibt Fahrdaten sowie „Sprachverbrauchsdaten“ weiter
  • MG: Erfasst Fahrerdaten, unklar, ob weitergegeben
  • Ford: Sammelt und teilt Fahrerdaten, aber keine biometrischen Daten
  • Toyota: Sammelt und teilt Fahrerdaten, einschließlich Fahrverhalten und Fahrzeugstandort, aber keine biometrischen Daten
  • Isuzu Ute: Sammelt und teilt in Australien keine Fahrerdaten
  • Subaru: Sammelt und teilt in Australien keine Fahrerdaten
  • Mitsubishi: Sammelt und teilt in Australien keine Fahrerdaten

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Unzulässige Zusammenführung von Daten: Meta beugt sich dem Bundeskartellamt

netzpolitik.org - 10 Oktober, 2024 - 17:14

Jahrelang hatte sich der Werbekonzern Meta erbittert gegen eine Entscheidung des Bundeskartellamts gewehrt. Die Behörde hatte dem Unternehmen Missbrauch von Marktmacht vorgeworfen und die unzulässige Zusammenführung von Daten untersagt. Heute hat das Verfahren sein Ende gefunden, während das nächste in den Startlöchern steht.

Die längste Zeit hat Meta unzulässig Daten von Nutzer:innen zusammengeführt. Damit ist nun Schluss. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ANP

Es waren strategische Entscheidungen, die weite Teile des Internets bis heute prägen. Vor über zehn Jahren kaufte das soziale Netzwerk Facebook erst den Foto-Dienst Instagram, später den Messenger WhatsApp. Damit konnte der inzwischen zu Meta umgetaufte Werbekonzern aufstrebende Konkurrenz ins eigene Haus holen, von rasant wachsenden Nutzer:innenzahlen profitieren – und alsbald ihre Daten zusammenführen.

Je umfangreicher und präziser, umso mehr kann Meta die Datenberge ausbeuten. Zielgerichtet ausgespielte, personalisierte Werbung ist schließlich das Kerngeschäft des US-Anbieters. Fast 40 Milliarden US-Dollar konnte das Unternehmen allein im vergangenen Jahresquartal damit umsetzen, zuletzt ist der Preis pro Werbeanzeige um 10 Prozent angestiegen. Ein florierendes Geschäft.

Dass das Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, steht schon lange als wohlbegründeter Verdacht im Raum. Bereits im Jahr 2017 ist das Bundeskartellamt vorläufig zu diesem Schluss gekommen. Dabei geht es nicht nur um die erzwungene Zusammenführung von Daten aus den unterschiedlichen Meta-Diensten, sondern auch um Daten, die massenhaft und ganz ohne Facebook-Account an den Anbieter abfließen, etwa über den „Gefällt Mir-Button“ auf Millionen von Websites. All dies war unzulässig, entschied die Regulierungsbehörde Anfang 2019.

Einigung nach jahrelangen Gerichtsverfahren

Doch erst heute konnte das Bundeskartellamt dieses Verfahren abschließen. Dagegen hatte sich Meta mit Händen und Füßen gewehrt und zog bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) – letztlich vergeblich. Das Unternehmen hat seine Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zurückgenommen, die Entscheidung ist damit bestandskräftig.

Ergebnis ist nun „ein Gesamtpaket von Maßnahmen, das den Nutzenden des sozialen Netzwerkes Facebook deutlich verbesserte Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Verknüpfung ihrer Daten einräumt“, heißt es in einer Pressemitteilung der Behörde. Die Zusammenführung selbst ist also nicht rechtswidrig. Nutzer:innen müssen ihr allerdings gesondert zustimmen, und die Einwilligung darf nicht zur Voraussetzung für die Nutzung von Facebook gemacht werden.

Nach einem „intensiven Diskussionsprozess“ zwischen Meta und dem Bundeskartellamt habe das Unternehmen schrittweise eine Reihe an Maßnahmen umgesetzt beziehungsweise dies für die nächsten Wochen zugesagt. Dazu zählt eine Kontenübersicht, mit der Nutzer:innen selbst entscheiden können, welche Meta-Dienste, etwa Facebook und Instagram, sie miteinander verknüpfen und damit einen Datenaustausch auch zu Werbezwecken erlauben wollen. „Eine getrennte Nutzung der Dienste bleibt ohne wesentliche Qualitätseinbußen möglich“, so das Bundeskartellamt.

Auch neu eingeführte Cookie-Einstellungen sollen die Trennung von Facebook- und Instagram-Daten sowie anderen Daten erleichtern. Zudem erhält das Facebook-Login eine Sonderstellung. Wer sich darüber auf Websites oder Apps anderer Anbieter anmelden möchte, muss nicht mehr länger sämtliche Datenzusammenführungen mit Daten von Drittanbietern erlauben. Darüber hinaus gibt es mehr Informationen, Benachrichtigungen und Wegweiser für Facebook-Nutzer:innen, damit sie die entsprechenden Einstellungen leichter – oder überhaupt – finden.

Wegweisende Entscheidung

„Die Facebook-Entscheidung aus dem Jahr 2019 kann bis heute als bahnbrechend gelten“, sagt Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes über das frustrierend lange Verfahren. Auf Grundlage der seinerzeitigen Entscheidung habe Meta ganz wesentliche Anpassungen beim Umgang mit Nutzer:innendaten vorgenommen. „Zentral ist dabei, dass die Nutzung von Facebook nicht mehr voraussetzt, dass man in eine grenzenlose Sammlung und Zuordnung von Daten zum eigenen Nutzerkonto einwilligt, auch wenn die Daten gar nicht im Facebook-Dienst anfallen“, sagt Mundt.

Außerdem habe die Entscheidung des Bundeskartellamtes zu einer wichtigen Leitentscheidung des EuGH geführt und auf der nationalen wie europäischen Ebene Gesetzgebungsinitiativen inspiriert. „Dies bedeutet auch, dass wir im Hinblick auf die Rechtsklarheit und die Eingriffsinstrumente in diesem Bereich heute einen ganz anderen Stand haben als noch vor fünf Jahren“, sagt Mundt.

Wie die EU ihre neuen Regeln durchsetzt

Tatsächlich wurde in Deutschland in den vergangenen Jahren mehrfach das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB-Novellen) überarbeitet. Das gibt dem Bundeskartellamt zusätzliche Instrumente in die Hand, um den Missbrauch von Marktmacht einzuhegen, notfalls bis hin zur Entflechtung marktdominanter Unternehmen. Auch die EU-Kommission kann auf Grundlage des Digital Markets Act (DMA) sogenannte „Gatekeeper“ stärker regulieren.

Meta noch nicht aus dem Schneider

Obwohl das Verfahren in Deutschland nun abgeschlossen ist, bedeute dies indes nicht, „dass alle kartellrechtlichen Bedenken restlos ausgeräumt worden wären“, betont das Bundeskartellamt. Unter anderem hat es dabei die derzeit laufende Untersuchung der EU-Kommission zum sogenannten „Zustimmen oder Zahlen“-Modell von Meta im Blick.

Hierbei will der Online-Dienst entweder eine Zustimmung der Nutzer:innen zur Verarbeitung ihrer Daten für Werbezwecke – oder eine Gebühr von monatlich 10 Euro, um keine personalisierte Werbung mehr auszuspielen. Aus Sicht der EU-Kommission, aber auch Verbraucher– und Datenschutzorganisationen stellt dies jedoch keine echte Wahl dar und könnte gegen EU-Gesetze verstoßen. Laut EU-Kommission soll die Untersuchung im Frühjahr abgeschlossen sein. Gut möglich, dass der Kampf erst danach beginnt.

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Ampel-Pläne: Zwei grüne Abgeordnete stellen sich gegen Überwachungspaket

netzpolitik.org - 10 Oktober, 2024 - 14:34

Plötzlich kommt aus der grünen Bundestagsfraktion doch noch offene Kritik am geplanten Sicherheitspaket. Im Fokus steht dabei vor allem die geplante Gesichtserkennung. Wir haben uns die Kritikpunkte angeschaut.

Die Ampel-Regierung plant derzeit ein Gesetzespaket, das zahlreiche neue Befugnisse für die Polizei mit sich bringt. (Symbolbild) – Public Domain generiert mit Midjourney.com

Erst sah es so aus als würde die grüne Bundestagsfraktion das Sicherheitspaket der Ampel hinnehmen oder nur hinter vorgehaltener Hand kritisieren. Jetzt regt sich doch so etwas wie öffentliche Kritik an den Plänen aus dem Hause von Bundesinnenministerin Nancy Faeser. In einem Gastbeitrag in der taz kritisieren die Bundestagsabgeordnete und Digitalausschuss-Vorsitzende Tabea Rößner und die Abgeordnete Sabine Grützmacher das Überwachungspaket.

Sie konzentrieren sich dabei allerdings auf die Felder Biometrie und Gesichtserkennung aus dem viele Maßnahmen umfassenden Gesetzespaket. Die Verschärfungen des Asylrechts, die in der SPD für Unruhe sorgen, und die Verschärfung des Waffenrechts, die zu weitreichenden anlasslosen Kontrollen führen würde, nennen die beiden Abgeordneten ebenso wenig wie die geplanten Befugnisse der Polizei zu Big-Data-Anwendungen.

„Weder mit Grundgesetz noch Europarecht vereinbar“

Der Regierung werfen Rößner und Grützmacher „Aktivismus“ vor, weil keineswegs sicher sei, ob die geplanten Maßnahmen ein Attentat wie in Solingen hätten verhindern können und „ob sie in einem angemessenen Verhältnis zu dem versprochenen Gewinn an Sicherheit stehen“. Was nun als Gesetzespaket auf dem Tisch liege, ermögliche „Grundrechtseingriffe von ganz erheblichem Ausmaß und kann bei Missbrauch zur tiefgreifenden Überwachung führen“, so Rößner und Grützmacher weiter.

„Es drängt sich der Eindruck auf, das Bundesinnenministerium und die Sicherheitsbehörden nähmen die derzeitige Stimmung zum Anlass, ihre Befugnisse derart zu erweitern, wie sie es in der Vergangenheit schon oft (erfolglos) versucht hatten.“ Stattdessen fordern die beiden Abgeordneten, dass die Ampel die im Koalitionsvertrag vereinbarte Überwachungsgesamtrechnung durchführen solle.

In Sachen Biometrie befürchten Rößner und Grützmacher eine „zentrale Superdatenbank“, die „jede Art der bisher diskutierten Vorratsdatenspeicherung in den Schatten stellen“ und anlasslos alle Bürger:innen treffen würde. Dies sei weder mit dem Grundgesetz noch mit Europarecht zu vereinbaren.

Keine roten Linien

Auffällig ist allerdings auch, dass der Text vor allem auf die weitreichende Kritik der Sachverständigenanhörung verweist. Rote Linien dafür, was mit der Beteiligung der Grünen nicht durchgehen wird, stellen die Abgeordneten nicht auf. Das mag den derzeitigen Verhandlungen mit den Koalitionspartnern im Hintergrund geschuldet sein. Dennoch bleibt der Text neben den Zitaten aus der Sachverständigenkritik bei recht allgemeinen Aussagen stehen, wie jenen, dass die Autorinnen sich für eine „differenzierte Betrachtung in der Koalition“ einsetzen oder sich einer „uferlosen Verarbeitung persönlicher Daten verweigern“ werden.

Was heißt es denn konkret, wenn Rößner und Grützmacher fordern, dass den Sicherheitsbehörden „kein Freifahrtschein in eine unbekannte Zukunft ausgestellt werden“ darf? Und sagt nicht auch Nancy Faeser oder jeder andere Innenminister, dass sie jederzeit „verfassungskonforme Lösungen“ anstreben würden? Die Antwort darauf bleiben Rößner und Grützmacher leider schuldig, auch wenn es ein gutes Zeichen für die Grundrechte ist, dass die Kritik auch von den Grünen nun etwas lauter wird.

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Interne Dokumente: Ungarn scheitert an Einigung zur Chatkontrolle

netzpolitik.org - 10 Oktober, 2024 - 13:29

Die EU-Innenminister haben heute nicht über die Chatkontrolle abgestimmt. Zu viele Staaten lehnen auch den aktuellen Vorschlag ab. Damit ist Ungarn im ersten Anlauf gescheitert, eine Einigung zu organisieren. Wir veröffentlichen ein eingestuftes Verhandlungsprotokoll.

Der ungarische Innenminister Sándor Pintér eröffnet die heutige Sitzung. – Alle Rechte vorbehalten Europäische Union

Die EU-Institutionen streiten seit über zwei Jahren über eine verpflichtende Chatkontrolle. Die Kommission will Internetdienste verpflichten, die Inhalte ihrer Nutzer auf Straftaten zu durchsuchen und diese bei Verdacht an Behörden zu schicken. Das Parlament bezeichnet das als Massenüberwachung und fordert, nur unverschlüsselte Inhalte von Verdächtigen zu scannen.

Die EU-Staaten können sich bisher nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Vor einem Monat hat die ungarische Ratspräsidentschaft vorgeschlagen, erstmal nur bekannte Straftaten zu suchen und andere Inhalte erst später.

Heute hat Ungarn die Justiz- und Innenminister über den Stand der Verhandlungen informiert. Inhaltlich wurde nichts Neues gesagt.

Vorbereitet haben das vor zwei Wochen die Referent:innen für Justiz und Inneres. Wir veröffentlichen ein weiteres Mal das eingestufte Protokoll der Verhandlungsrunde im Volltext.

Enttäuscht von Vorschlag

In der Sitzung haben die EU-Staaten „im Wesentlichen die bekannten Positionen wiederholt“. Eine Mehrheit der Staaten will die Chatkontrolle. Viele Staaten sind zufrieden mit dem Vorschlag und stimmen ihm zu.

Mehrere Staaten kritisieren, dass der Kompromissvorschlag die Chatkontrolle zu stark einschränkt. Griechenland ist „besorgt wegen der Beschränkung auf bekanntes Material“. Bulgarien und Litauen sind „nicht besonders glücklich“ mit dem Kompromiss und „hätten ein ambitionierteres Vorgehen bevorzugt“. Irland ist „grundsätzlich enttäuscht von dem neuen Vorschlag, er sei zu wenig ambitioniert“.

Diese Staaten unterstützen den Vorschlag trotzdem, um überhaupt eine Einigung zu erreichen. Irland kündigte aber bereits an, keine weiteren Zugeständnisse zu machen: „Dieser Kompromiss sei das Äußerste, was Irland noch mittragen werde.“

Mit Rechtsstaat unvereinbar

Andere Staaten lehnen den Vorschlag weiterhin ab. Deutschland verwies auf dem Beschluss der Bundesregierung, Client-Side-Scanning und Eingriffe in verschlüsselte Kommunikation abzulehnen. Letzte Woche betonte die FDP, die Chatkontrolle ist „nicht mit dem liberalen Rechtsstaat vereinbar“.

Polen lehnt den Kompromiss ebenfalls ab, vor allem „wegen der Vorschläge zum Scanning“, die es als Massenüberwachung bezeichnet. Tschechien hält „den Kompromiss weiterhin nicht für ausgewogen“. Für Luxemburg ist der Vorschlag „weiterhin nicht zustimmungsfähig“.

Die Niederlande haben seit Juli eine neue Regierung. Diese sieht „viele ihrer bisherigen Bedenken adressiert“ und bezeichnet den Vorschlag als Mehrwert. „Allerdings gelte noch ein Parlamentsvorbehalt.“ Letzte Woche hat sich das Parlament gegen die Chatkontrolle gestellt. Deshalb können die Niederlande den Vorschlag nicht unterstützen.

Österreich „bekräftigte seine grundsätzliche Ablehnung“. Vor zwei Wochen hat Österreich einen neuen Nationalrat gewählt. Auch nach der Wahl bleibt Österreich bei seiner Ablehnung. Eine neue Regierung kann das Thema zwar „neu bewerten“. Sie ist aber an einen Beschluss des Parlaments gebunden, der die Chatkontrolle ablehnt.

Prüfen und Vorbehalt

Befürworter und Gegner sind relativ festgefahren. Entscheidend sind einige Staaten, deren Position nicht klar und eindeutig ist.

Frankreich war erst für und dann gegen die Chatkontrolle. Seit einem Monat hat Frankreich eine neue Regierung. Wie Frankreich jetzt abstimmen würde, ist nicht öffentlich bekannt. In der Verhandlungsrunde hat Frankreich nur Fragen gestellt.

Italien hält sich ebenfalls bedeckt. Die Regierung scheint den Kompromiss zu befürworten, aber andere „Regierungsstellen“ sind noch „sehr skeptisch“. In der Sitzung erklärte Italien, „sich noch nicht äußern zu können, da die Prüfung des Textes noch andauere“.

Schweden zeigte sich „grundsätzlich einverstanden, legte aber Parlamentsvorbehalt ein“.

Maximum an Flexibilität

Damit hat der aktuelle Kompromissvorschlag weiterhin keine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten. Eine „einstimmige Entscheidung“ sieht die Ratspräsidentschaft ohnehin nicht „im Bereich des Möglichen“.

Ungarn stellte in der Sitzung „weitere bilaterale Treffen in Aussicht“, um kritische Staaten umzustimmen. „Dies sie die einzige realistische Möglichkeit, noch zu einem Beschluss des Rates zu kommen.“ Immerhin hätten die Befürworter „schon ein Maximum an Flexibilität gezeigt“.

Am Tag nach der Verhandlung präsentierte die Ratspräsidentschaft ihren Vorschlag als abstimmungsfertigen Gesetzentwurf. Eigentlich wollte Ungarn den Gesetzentwurf heute auf dem Rat der Justiz- und Innenminister beschließen.

Zeit wird knapp

Doch am Montag hat Ungarn einen Rückzieher gemacht. Mit dem Beschluss der Niederlande gibt es wieder keine ausreichende Mehrheit.

Im Ausschuss der Ständigen Vertreter verkündete die Präsidentschaft, das Gesetz heute doch nicht zu beschließen, sondern nur einen Zwischenstand zu präsentieren. Der ungarische Innenminister Sándor Pintér und die scheidende EU-Innenkommissarin Ylva Johansson plädierten dafür, eine Einigung zu finden.

Damit ist auch Ungarn mit seinem ersten Versuch einer Einigung gescheitert. Für diesen Fall hat Ungarn angekündigt, „ein ganz neues Konzept zu entwickeln“. Dafür wird aber „die Zeit knapp“.

Einerseits läuft die freiwillige Chatkontrolle aus. Andererseits ist die ungarische Ratspräsidentschaft schon wieder zur Hälfte um. Die nächste und letzte Chance für Ungarn ist im Dezember.

Hier das Protokoll in Volltext:

  • Geheimhaltungsgrad: Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch
  • Datum: 23.09.2024
  • Von: Ständige Vertretung der BRD bei der EU
  • An: Auswärtiges Amt
  • Kopie: BMI, BMWK, BMDV, BMJ, BMFSFJ, BKAmt, BMF
  • Betreff: Sitzung der JI-ReferentInnen RAGS-Polizei am 23. September
  • Bezug: CM 4049/24
  • Zweck: Zur Unterrichtung
  • Geschäftszeichen: 421.30 + 350.80
Sitzung der JI-ReferentInnen RAGS-Polizei am 23. September I. Zusammenfassung und Wertung

Die Verlängerung des Mandates des stellvertretenden Exekutivdirektors von Europol, Jean-Philippe Lecoufe, wurde angenommen.

Zu den RSF zur Umweltkriminalität bestand ROU in Ziff. 32 auf der Streichung des Verweises auf Interpol. Die von DEU geforderte Rücknahme der Streichung betr. Olaf in Ziff. 19 fand keinerlei Unterstützung. CYP, SWE, ITA, POL, SWE, ITA hatten kein Mandat, um Textänderungen zuzustimmen. HUN Vorsitz stellte daher ein Verschweigeverfahren in Aussicht.

Zur CSA–VO wurden im Wesentlichen die bekannten Positionen wiederholt. Neben DEU bestätigten AUT, POL, LUX, CZE ihre bekannten Positionen und bekräftigten, dem jetzt vorliegenden Kompromiss nicht zustimmen zu können. NLD und ITA erläuterten, der Vorschlag werde dort weiter geprüft. SWE legte Parlamentsvorbehalt ein. HUN Vorsitz kündigte an, dem AStV in jedem Fall für seine Sitzung am 2. Oktober eine Note zur weiteren Beratung vorlegen zu wollen.

II. Handlungsempfehlungen

entfällt

III. Im Einzelnen

[…]

TOP 3: Vorschlag für eine Verordnung zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Mißbrauchs von Kindern (CSA–VO)

HUN Vorsitz bat um allgemeine Anmerkungen zum vorliegenden Kompromissvorschlag.

FRA und AUT fragten, wie sich die derzeit vorgeschlagenen Fristen für die vorgesehene Überprüfungsklausel (review clause) und die Evaluierung und mögliche Revision der gesamten VO in der Praxis koordinieren ließen, derzeit ergebe sich eine Überschneidung der Fristen von einem Jahr.

HUN Vorsitz erläuterte, dass die im Rahmen der „review clause“ vorgesehene Bewertung auch schon früher vorgenommen werden könne. Das hinge in der Praxis letztlich davon ab, ob die MS die Bewertung schon eher von der KOM fordern würden.

IRL zeigte sich grundsätzlich enttäuscht von dem neuen Vorschlag, er sei zu wenig ambitioniert. Dieser Kompromiss sei das Äußerste, was IRL noch mittragen werde. Die in der „review clause“ vorgesehen Frist sei zu lang. Außerdem sei der Begriff der „best endeavours“ in Art. 84 unklar und müsse erläutert werden.

HUN Vorsitz erläuterte erneut, bei den Fristen für die „review clause“ flexibel zu sein und sie auch auf drei oder vier Jahre anzusetzen. Man könne letztlich auch auf Anforderung von den Fristen abweichen, die Frage sei nur, wie umfassend die Datenlage nach drei Jahren schon sein könne.

IRL, ESP, GRC sprachen sich jeweils für drei Jahre aus. HRV für zwei oder drei Jahre, aber dies sei keine rote Linie

ROU unterstützte eine Drei-Jahres Frist und zeigte sich im Übrigen zufrieden mit dem Kompromisstext. GRC war besorgt wegen der Einschränkung des Anwendungsbereiches und insbesondere wegen der Beschränkung der Aufdeckungsanordnungen auf bekanntes Material, wollte aber letztlich zustimmen. EST zeigte sich grundsätzlich mit dem Kompromiss zufrieden.

NLD erläuterte, dass die neue NLD Regierung jetzt mit dem Text viele ihrer bisherigen Bedenken adressiert sähe. Der Text habe nun für NLD einen Mehrwert. Allerdings gelte noch ein Parlamentsvorbehalt.

Für DEU wurde weisungsgemäß auf die bekannte Position verwiesen, der Text sei wegen des weiterhin enthaltenen Client-Side-Scanning und wegen der Eingriffe in verschlüsselte Kommunikation grundsätzlich nicht zustimmungsfähig. Außerdem wurde Prüfvorbehalt zu den weiteren neuen Vorschlägen, insbesondere der „review clause“ eingelegt. Die Beschränkung auf bekanntes Material wurde unter Verweis auf den Prüfvorbehalt begrüßt.

Auch für LUX war der Text weiterhin nicht zustimmungsfähig, ebenso für POL, das ebenfalls v.a. wegen der Vorschläge zum Scanning den Kompromiss ablehnte. POL begrüßte wie DEU die Beschränkung auf bekanntes Material. Auch AUT bekräftigte seine grundsätzliche Ablehnung, auch nach der Wahl in AUT werde die Position dieselbe bleiben, bis eine neue Regierung diese neu bewerte. CZE hielt den Kompromiss weiterhin nicht für ausgewogen.

SVK, SVN, LVA unterstützen IRL und ESP. FIN erläuterte, bereits mit dem BEL Vorschlag zufrieden gewesen zu sein, aber auch diesen Vorschlag mitzutragen.

BGR und LTU äußerten, nicht besonders glücklich mit dem Text zu sein, sie hätten ein ambitionierteres Vorgehen bevorzugt, würden aber den Text jetzt mittragen, um in den Verhandlungen vorwärts zu kommen. SWE war ebenfalls grundsätzlich einverstanden, legte aber Parlamentsvorbehalt ein. MLT äußerte sich ebenfalls zustimmend, bat aber KOM um Einschätzung, wie sie die nun vorgesehene Rolle des Zentrums bewerte.

Auf Nachfrage FRA erläuterte JD-Rat, dass die temporäre Ausnahme eben nur eine Ausnahme von der e-Privacy-RL sei und deswegen in dem Bereich, für den sie gelte, die DSGVO Anwendung finde.

ITA erklärte als letzter wortnehmender MS, sich noch nicht äußern zu können, da die Prüfung des Textes noch andauere.

KOM erklärte, immer noch einen Mehrwert in dem Text zu sehen, auch wenn er deutlich an Ambition verloren habe. Aber der vorliegende Vorschlag sei ein guter Weg, mit den Verhandlungen vorwärts zu kommen. Auf die MLT Frage antwortete KOM, das Zentrum werde immer noch wichtige Arbeit leisten können. Unter anderem werde beim Austausch bester Praktiken und bei der Unterstützung von Opfern eine große Rolle spielen können. KOM habe eine Fünf-Jahres-Frist für die „review clause“ vorgeschlagen, wäre aber auch bereit, für einzelne Punkte schon nach drei Jahren Bewertungen vorzulegen, wenn das der Wunsch der MS sei.

Auf die Fragen von IRL und FIN, was in Art. 84 unter „best endeavours“ zu verstehen sei, erläuterte KOM, damit seien die jeweiligen Möglichkeiten der Provider gemeint, über die von ihnen entwickelten Technologien an die KOM zu berichten. Diese seien naturgemäß je nach Größe des Providers unterschiedlich.

HUN Vorsitz schlug vor „best endeavours“ zu streichen, die Provider müssten dann immer noch Informationen liefern.

Außerdem stelle HUN Vorsitz weitere bilaterale Treffen in Aussicht. Dies sie die einzige realistische Möglichkeit, noch zu einem Beschluss des Rates zu kommen. Die Staaten, die dem Kompromiss jetzt zustimmten, hätten schon ein Maximum an Flexibilität gezeigt. Selbstverständlich habe der Vorsitz Respekt für alle geäußerten Positionen. Dennoch müsse Vorsitz konstatieren, dass man in diesem Dossier eine qualifizierte Mehrheit anstreben müsse, da eine einstimmige Entscheidung nicht im Bereich des Möglichen liege. Wenn auf der jetzt vorliegenden Textbasis keine Einigung gelinge, dann müsse Vorsitz versuchen, ein ganz neues Konzept zu entwickeln, aber dafür werde mit Blick auf das Auslaufen der Interims-VO bereits jetzt die Zeit knapp.

HUN Vorsitz stelle in Aussicht, in jedem Fall bald eine Note vorzulegen, auf deren Grundlage der AStV am 2. Oktober erneut beraten könne.

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Andreas Scheuer: Von diabolischen Kräften aus dem Stadtrat vertrieben

netzpolitik.org - 9 Oktober, 2024 - 16:39

Wir alle haben ihn in guter Erinnerung als äußerst erfolgreichen Verkehrs- und Digitalminister. Unvergessen sein Einsatz gegen Funklöcher und für eine Pkw-Maut. Doch wie kam es dazu, dass der beliebte Politiker von „Steigbügelhaltern der Bösartigkeit“ zum Rücktritt aus dem Passauer Stadtrat gedrängt wurde? Eine Glosse.

Ein Bild aus glücklichen Zeiten: Andreas Scheuer (links) in prominenter Runde. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / SKATA

Es war die Personalie des Jahres im Passauer Stadtrat. Eine Starbesetzung. Ein Mann von ganz oben. Der ehemalige Verkehrs- und Digitalminister Andreas Scheuer, seit 2002 auch ehrenamtliches Mitglied des Stadtrats seiner Heimatstadt, sollte Mitglied des Rechnungsprüfungsausschusses der Stadt Passau werden.

„Wir haben die Ausschüsse nach Vorlieben und Fähigkeiten besetzt“, sagte im Vorfeld Evi Buhmann, Fraktionsvorsitzende der CSU im Stadtrat. Die Rechnungsprüfung der Stadt Passau prüft nach eigener Aussage „die Jahresrechnung und die Bilanzen der Eigenbetriebe und damit das gesamte Tätigwerden der Stadt Passau im Hinblick auf Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit.“

Und wer hätte eben bessere Fähigkeiten im Umgang mit Geld, Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit als ebenjener frühere Doktortitelbesitzer Andreas Scheuer? Jener Mann, der es mit den Finanzen so genau nimmt, dass er bei der – mit Ansage – nicht zustande gekommenen Einführung der Pkw-Maut einen Verlust von 243 Millionen Euro für den Staat eingefahren hat? Scheuer ist also einer, der die ganz großen Beträge prüfen kann. Einer, der gerne mit viel Geld umgeht, wenn es nicht sein eigenes ist. Der ideale Mann für die Rechnungsprüfung!

Wirtschaftlichkeit hat einen Namen: Scheuer!

In Sachen Wirtschaftlichkeit kann in diesem Land kaum jemand mehr vorweisen als Andreas Scheuer, dessen staatliche Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft 5.000 Mobilfunkmasten bundesweit errichten sollte – und nach vier Jahren und mit immerhin 70 Mitarbeitern erst letzte Woche den ersten staatlich geförderten Mast in Betrieb genommen hatte. Das ist Wirtschaftlichkeit allererster Güte, ein Leuchtturm der Wirtschaftlichkeit möchte man gar sagen. Scheuer ist ein Mann, der Innovationen auch dann vorantrieb, wenn er dabei Rückschläge einstecken musste.

Am Ende haben die „Steigbügelhalter der Bösartigkeit“ – ein Grüner, ein fraktionsloser CSU-Neustadtrat und die Medien, wie Scheuer auf Facebook ausführt – in einem „abgekarteten Spiel“ verhindert, dass ebenjener qualifizierte, gute Mann in Amt und Würden des Passauer Rechnungsprüfungsausschusses kam.

Bundes- und Kommunalpolitik „unsachlich vermengt“

Denn zwei Stadträte hatten die Besetzung von Scheuer im Rechnungsprüfungsausschuss als „Bankrotterklärung“ bezeichnet, welche „Stadtrat und Stadt der Lächerlichkeit preisgegeben“ würde. Und die Passauer Neue Presse hatte es gar gewagt, darüber zu berichten. Da musste Andreas Scheuer reagieren, obwohl er laut eigener Aussage nach dem Motto „Wer die Hitze nicht aushält, darf nicht in die Küche gehen“ lebt.

Andreas Scheuer nennt die Vorgänge „undemokratisch“ und „unkollegial“, dabei habe er sich doch trotz neuerlicher beruflicher Ausrichtung und internationaler Verpflichtungen in den Dienst der Sache der freien Kreisstadt gestellt. Ohnehin sei es nur um ein Gremium gegangen, das „dreimal im Jahr“ tage. Doch die Medien hätten Bundespolitik und Kommunalpolitik „unsachlich vermengt“ und „faktenfrei dargestellt“, schrieb Andreas Scheuer auf Instagram. Das alles spiele in die Hände der Extremisten! „Wer Hass und Hetze provoziert, wer streitlüstern, spaltend und diabolisch auftritt, der schadet“, so der frischgebackene Ex-Politiker.

Dem guten Mann blieb am Ende nichts anderes übrig als zurückzutreten. Ein trauriger Schritt, den Andreas Scheuer sonst immer gut zu vermeiden wusste.

Dokument

Wir dokumentieren an dieser Stelle Andreas Scheuers Erklärung, die er am 8. Oktober 2024 auf Instagram und auf Facebook verbreitete.






 

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Automatisierte Gesichtserkennung: Wie das Vermummungsverbot Menschen und Grundrechte gefährdet

netzpolitik.org - 9 Oktober, 2024 - 15:56

Es gibt gute Gründe, auf Versammlungen das Gesicht zu verhüllen. Filmende Neonazis und Polizist*innen zum Beispiel – und die wachsende Bedrohung durch automatisierte biometrische Identifikation. Amnesty International, die Gesellschaft für Freiheitsrechte und die Humanistische Union fordern ein Ende des pauschalen Vermummungsverbotes.

Die Menschen, die diese Person aufnimmt, dürfen sich nicht vermummen. Und mit aktueller Gesichtserkennungstechnologie lassen sie sich problemlos identifizieren. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / blickwinkel

An der „Packstation“ vor dem Bahnhof Oranienburg stehen Ende September etwa zwei Dutzend junge Menschen. Sie sind hauptsächlich schwarz gekleidet und akkurat frisiert. Dem Anschein nach weitestgehend Träger von Y-Chromosomen. Einer hält eine Flagge hoch, schwarz-weiß-rot mit Adler, zwei tragen ein Banner, auf dem steht: „Es gibt nur zwei, Geschlechter“.

Etwa fünf Meter vor dem Banner steht eine männlich gelesene Person im Minirock. Die ruft: „Ihr Nazis“. Die Angesprochenen antworten gut gelaunt „Ja“ und „Genau“ und grölen im Chor: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“. Einer der Nazis hält sein Handy in Brusthöhe auf den Mensch im Minirock gerichtet, er filmt scheinbar auch die fünf, sechs anderen Personen, die seiner Gruppe gegenüberstehen.

Beide Parteien sind wegen des CSD Oberhavel hier, einer Queer-Pride-Demo im brandenburgischen Oranienburg. Die Rechtsradikalen wollen dagegen protestieren. Ihnen gegenüber stehen Unterstützer*innen der Vielfaltsdemonstration. Einige tragen FFP2-Masken.

Feindesliste per Gesichtersuchmaschine

Nach dem Bundesversammlungsgesetz ist es verboten, zum Schutz der Identität auf Freiluftversammlungen das Gesicht zu verhüllen. Bis zu ein Jahr Haft droht der entsprechende Paragraf an. Allein das Mitführen von Vermummungsutensilien kann eine Geldbuße von bis zu 500 Euro nach sich ziehen. Das sogenannte Vermummungsverbot ist schon immer verfassungsrechtlich umstritten. Mit den neuen technischen Möglichkeiten zur biometrischen Identifikation wird es zur Gefahr für die Demokratie.

Frei zugängliche Gesichtersuchmaschinen verweisen, wenn man eine Aufnahme einer Person hochlädt, auf andere Bilder des gleichen Menschen im Internet. Und da steht dann oft auch der Name dabei, oder die Arbeitsstelle oder zum Beispiel ein Verein, in dem sich die Person bewegt. Extrem praktisch, wenn man eine Feindesliste aufbauen will, oder politische Gegner privat angreifen. Und extrem bedrohlich, wenn man gerade als männlich gelesene Person im Minirock einer Bande Neonazis gegenübersteht.

Lena Rohrbach, Expertin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter bei Amnesty International, sagt: „Es gibt Bereiche in Deutschland, da muss man sehr viel Mut haben, noch auf eine queere Demo oder eine Demo gegen Rassismus zu gehen. Und es ist verständlich, wenn Menschen sich da lieber bedecken möchten. Es muss grundsätzlich möglich sein, anonym zu demonstrieren, um sich vor staatlicher Überwachung, aber auch vor Racheakten durch einzelne gesellschaftliche Gruppen wie zum Beispiel Rassistinnen und Rassisten zu schützen, insbesondere da wo menschenrechtsfeindliche Kräfte zunehmend an die Macht kommen.“

„Relikt überkommener Gesinnungspolitik“

Zum Problem könne auch die Identifizierung durch ausländische Geheimdienste werden. „Es gibt Fälle von Menschen, die bei der Heimreise in den Iran festgenommen wurden, weil sie hier auf einer Demonstration waren“, sagt Rohrbach.

David Werdermann, Jurist bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), sagt: „Da ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung berührt, wenn man nicht anonym an Versammlungen teilnehmen kann. Das berührt mittelbar auch die Versammlungsfreiheit, wenn man, sei es aus Angst vor Infektionen oder Repressalien sich gehindert sieht, an einer Versammlung teilzunehmen. Es ist in bestimmten Regionen und bestimmten Themen eine reale Bedrohung, dass nach einer Demonstration die Nazis vor der Tür stehen. Das kann Leute davon abhalten, von ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch zu machen.“

Philip Dingeldey von der Humanistischen Union sagt: „Das Recht auf Anonymität von Demonstrierenden oder Versammelten wiegt höher als etwaige polizeiliche Wünsche nach einer erleichterten Strafverfolgung. Der Zwang, auf einer Demo identifizierbar zu sein, ist ein Relikt überkommener Gesinnungspolitik und war schon im 20. Jahrhundert illegitim. Eine biometrische Identifizierung verschärft diesen Aspekt.“

„Eine provokative, ins aggressive kippende Stimmung“

An den Seiten des Oranienburger Bahnhofsvorplatzes stehen Polizist*innen. Auch sie filmen. Weil „sich mehrere Personen gegenüber der Gegendemo zum CSD aufgebaut hatten, lautstark in Richtung der Gegendemonstration riefen, Transparente hochhielten und sich eine provokative, ins Aggressive kippende, Stimmung aufbaute, sodass die Polizeibeamten den Anschein hatten, dass es hier zu Beleidigungen oder Körperverletzungen kommen konnte“, wie die zuständige Polizeipressestelle auf netzpolitik.org-Anfrage schreibt.

Seit 2008 nutzt das Bundeskriminalamt einen automatisierten biometrischen Abgleich mit Fotos aus erkennungsdienstlichen Behandlungen zur Ermittlung von Straftäter*innen. Künftig sollen Polizist*innen, so das „Sicherheitspaket“ der Bundesregierung, Bilder von Personen mit Fotos aus dem Internet abgleichen können, um Straftäter*innen, Zeug*innen oder Asylsuchende zu identifizieren.

David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte sagt: „Unter diesen Fotos können auch Bilder von Demonstrationen sein, das erhöht das Eingriffsgewicht des biometrischen Datenabgleichs.“ Eigentlich müsse der Staat gegen die privaten Datenbanken vorgehen, statt eigene aufbauen zu wollen. Da die Möglichkeiten zur biometrischen Identifikation aber immer zugänglicher würde, sei es umso wichtiger, eine Möglichkeit zu schaffen, sich anonym auf Versammlungen zu bewegen. „Das wäre das Mindeste. Es würde die Folgen des unverhältnismäßigen Eingriffs in die Grundrechte zumindest abmildern“, sagt Werdermann.

„Wir haben Sie videografiert“

Auch Lena Rohrbach von Amnesty International sieht „zahlreiche Punkte, die in Frage stellen, ob das Vermummungsverbot menschenrechtlich haltbar und zeitgemäß ist.“ Es sei ein wichtiger Teil von Versammlungen geworden, dass man sie online teilt. „Alleine auf der Straße kriegt man selten die ganze Aufmerksamkeit. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Amnesty teilen deshalb Fotos und Videos ihres Protestes auch auf Social Media. Und diese Materialien dürften nach dem jetzigen Entwurf künftig alle ausgewertet werden“, sagt sie.

Zurück bei der Queer-Pride-Parade: Eine Gruppe Polizist*innen geht auf die maskierten CSD-Unterstützer*innen zu und fordert sie auf, die Masken abzulegen. Der wortführende Polizist erwähnt das Vermummungsverbot und warnt: „Wir haben Sie videografiert.“

Die zuständige Polizeipressestelle schreibt auf netzpolitik.org-Anfrage: „Zu den Versammlungslagen lagen Erkenntnisse vor, dass es aus den Versammlungen zu Störungen – wie Beleidigungen, Körperverletzungen etc. – kommen könnte. Einige Personen verhielten sich gegenüber den Gegendemonstranten und auch den Polizeibeamten provokant und störend. Diese wurden auf ihr Verhalten angesprochen und darauf hingewiesen, dass das Tragen der Maske mit dem Ziel der Identitätsverschleierung verboten ist (…)“ Die CSD-Unterstützer*innen nehmen die Masken ab.

Das Vermummungsverbot sägt an wichtigen Säulen der Demokratie

Das Vermummungsverbot kann Menschen in Gefahr bringen, wenn sie ihre demokratischen Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ausüben. FFP2-Masken schützen Leben, auch als Anonymisierungsinstrument.

Lena Rohrbach von Amnesty International sagt: „Jede Restriktion der Versammlungs- und der Meinungsfreiheit ist ein Einschnitt in diese Menschenrechte. Das heißt, sie muss einem legitimen Ziel genügen und sie muss verhältnismäßig sein. Eine pauschale Einschränkung wie das Vermummungsverbot ist nicht verhältnismäßig.“

Jede Überwachungsmaßnahme gehe mit Einschüchterungseffekten einher, die Menschen davon abhalten können, ihre Grundrechte zu nutzen. „Und die Versammlungsfreiheit und die damit eng verbundene Meinungsfreiheit sind einfach total wichtige Säulen der Demokratie. Das sind jenseits von Kreuzchen machen die zentralen Möglichkeiten für Bürger*innen und Bürger ihre politische Meinung auszudrücken.“

Die Versammlungsfreiheit für die Zukunft schützen

In anderen Ländern würden Demonstrierende bereits per biometrischer Massenüberwachung identifiziert. „Meine Kollegin aus dem Bereich Russland sagt: ,Früher war das Risiko, bei einer Demonstration verprügelt zu werden. Heute ist das Risiko, dass die russischen Behörden Wochen nach einer Demonstration plötzlich bei dir vor der Tür stehen, weil sie dich mit biometrischer Technologie identifiziert haben.“ Auch in Deutschland gäbe es ein Erstarken menschenrechtsfeindlicher, populistischer Kräfte. „Deshalb ist es wichtig, das Recht auf Versammlungsfreiheit auch für die Zukunft zu schützen“, sagt Lena Rohrbach.

Das Vermummungsverbot wurde, gleichzeitig mit dem Verbot der „Schutzbewaffnung“ in den 80er-Jahren eingeführt, als Reaktion auf Autonome mit Motorradhelmen, die sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Zunächst galt es nur in gewalttätigen Menschenmengen und wenn die Polizei zuvor zum Ablegen der Vermummung aufgefordert hatte, dann wurde die Vermummung generell zur Straftat heraufgestuft.

Auch in der aktuellen Rechtsprechung gibt es die Annahme, dass das Auftreten Vermummter die Bereitschaft zur Gewalt und zur Begehung von Straftaten indiziere. David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte sieht das durch die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie widerlegt: „Da gab es teilweise ein Vermummungsgebot. Alle mussten FFP2-Masken tragen. Und die Demonstrationen sind nicht regelmäßig eskaliert, obwohl die Leute vermummt und nicht identifizierbar waren“, sagt er. Die Corona-Pandemie habe gezeigt dass das Verbot in dieser Pauschalität nicht erforderlich sei.

Vermummt und trotzdem friedlich

Philip Dingeldey von der Humanistischen Union sagt: „Von Demonstrationen mit vermummten Personen geht nicht per se ein höheres Gefahrenpotenzial aus. So haben auch Demonstrationen während der Pandemiejahre gezeigt, dass Versammlungen nicht alleine durch die Vermummung, wie das Tragen einer Atemschutzmaske, gefährlich werden, sondern diese in der Regel friedlich ablaufen.“

Es ist es auch heute noch erlaubt, die Maske zum Schutz vor Infektionen auf Versammlungen zu tragen. „Bei Personen, die einer besonderen Gefährdung ausgesetzt sind, ist es total plausibel, dass man die aus gesundheitlichen Gründen trägt. Aber bei anderen Personen könnte ich mir vorstellen, dass Polizei und Justiz das als Schutzbehauptung zurückweisen“, sagt David Werdermann.

Bei Versammlungen unter freiem Himmel darf man sein Gesicht nicht mit dem Ziel unkenntlich machen, es unkenntlich zu machen. Aber es gibt viele Gründe, die bei guter Argumentation und im passenden Einzelfall von Polizei und Gerichten als Rechtfertigung für eine Vermummung auf Versammlungen akzeptiert werden.

Welche Masken wann erlaubt sind

Verschiedene Gerichte haben bereits als rechtmäßig anerkannt: Tiermasken gegen die Patentierung vom Leben, Totenkopfmasken gegen den Krieg, Strahlenschutzanzüge gegen Atomkraftwerke, Politiker*innen-Masken, Fetischmasken auf dem Christopher Street, Bettlaken, in die sich Aidskranke verhüllen um gegen ihre Registrierung zu demonstrieren und Guy-Fawkes-Masken bei Versammlungen gegen Telekommunikationsüberwachung. Es kann auch erlaubt sein, sein Gesicht vor dem Wetter zu schützen.

Vom Vermummungsverbot ausgenommen sind „Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste.“ Also auch Fasching, beziehungsweise Karneval. Lena Rohrbach sagt: „Von der Religionsfreiheit abgedeckt ist auch das Tragen eines Hijab aus religiösen Gründen.“

Laut dem wissenschaftlichen Dienst des Bundestages gilt das Vermummungsverbot nicht, wenn sich jemand hinter einem Transparent verbirgt, es gilt nicht für Polizist*innnen, Passant*innen oder fliegende Händler*innen und auch nicht, wenn die Identität einer Person bereits bekannt ist.

Die Maske hilft auch gegen Angst vorm Arbeitgeber

Legal sei auch, sein Gesicht zu verhüllen, um seine Identität vor gewaltbereiten politischen Gegner*innen zu verschleiern, so der wissenschaftliche Dienst, oder auch gegenüber ausländischen Geheimdiensten. „Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Identität eines Versammlungsteilnehmers haben nur die Polizei und die Versammlungsbehörde“, schreiben die Autor*innen.

Die Rechtsprechung sieht allerdings anders aus. Laut dem Oberlandesgericht Karlsruhe ist es unerheblich, ob die Identität gegenüber den Strafverfolgungsbehörden verschleiert werden soll oder gegenüber Gegendemonstrant*innen oder zum Beispiel auch dem Arbeitgeber. Lena Rohrbach von Amnesty International sagt: „Eine Freundin von mir arbeitet für einen SPD-Abgeordneten und hat an einer Demo teilgenommen, die sich explizit gegen eine SPD-Maßnahme richtete. Die wollte da verständlicherweise gerne unerkannt bleiben. Es gibt viele gute Gründe für eine Maskierung.“

In der Hälfte der Bundesländer gilt noch das Bundesversammlungsgesetz. Die andere Hälfte hat inzwischen eigene Versammlungsgesetze erlassen. Die meisten bilden das Bundesversammlungsgesetz sehr genau nach, einige haben das Vermummungsverbot so konkretisiert, dass es nur eine Vermummung verbietet, die das Ziel hat, die Identität gegenüber der Polizei zu verschleiern.

Wo man sich gegen Identifizierung durch Gegendemonstrant*innen maskieren darf

In Berlin sollte man heil davonkommen, wenn man eine Maske aufsetzt, wenn aus der Gegendemo heraus gefilmt wird. In Hessen ist die Vermummung ebenfalls nur illegal, wenn sie sich gegen die „hoheitliche“ Identifizierung richtet. „Zielrichtung ist also die Verhinderung der Identifizierung durch die Behörden, nicht durch Dritte“, schreibt das hessische Innenministerium auf netzpolitik.org-Anfrage.

In Schleswig-Holstein ist die Vermummung nur eine Ordnungswidrigkeit, die mit maximal 1.500 Euro geahndet wird.

Nordrhein-Westfalen schränkt das Vermummungsverbot so ein, dass eine Vermummung nur illegal ist, wenn sie eine Identitätsermittlung zum Zwecke der Strafverfolgung verhindern soll. Dabei ist allerdings die Maskierung strafbewehrt ohne dass vorher per Anordnung konkretisiert wird, was denn nun alles unter Vermummung fällt.

Die Liste der verbotenen Gegenstände

Die GFF hält das für verfassungswidrig und beruft sich dafür auf einen Beschluss zu Ordnungswidrigkeiten im Landesversammlungsgesetz von Bayern. Sie hat Verfassungsbeschwerde gegen das Versammlungsgesetz von Nordrhein-Westfalen eingelegt. Und diese Beschwerde sei nur beispielhaft, so David Werdermann. Alle acht Bundesländer, in denen noch das Bundesversammlungsgesetz gilt, hätten das gleiche verfassungsrechtliche Problem und müssten deshalb dringend verfassungskonformes Landesrecht schaffen, so Werdermann.

Hessen und Berlin fordern mit ihren Landesversammlungsgesetzen eine konkrete Liste der verbotenen Gegenstände von der Versammlungsbehörde. Der entsprechende „Beschränkungsbescheid“ wird, so die Polizei Berlin auf netzpolitik.org-Anfrage, meist vor der jeweiligen Versammlung der Versammlungsleitung zugestellt, könne aber auch spontan angepasst werden. Einen beispielhaften Beschränkungsbescheid wollte die Polizei Berlin nicht herausgeben.

Das hessische Innenministerium schreibt: „Die behördliche Anordnung gibt der von ihr betroffenen Person die Möglichkeit, die davon erfassten Gegenstände abzulegen oder auf andere Weise der Vollziehung der Anordnung zuvorzukommen.“ Das ist schon ein Fortschritt.

Vermummungsverbot nur im begründeten Einzelfall

Die für diesen Text interviewten zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern, das Vermummungsverbot noch weiter zurück zu nehmen. Lena Rohrbach von Amnesty International sagt: „Es darf kein pauschales Vermummungsverbot geben. Es müsste so geregelt sein, dass ein Vermummungsverbot nur im Einzelfall angeordnet werden kann, wenn es wirklich unerlässlich ist zur Abwendung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung – wenn es seitens der Personen zu Straftaten gekommen ist oder mit sehr guten Gründen davon ausgegangen werden kann, dass erhebliche Straftaten auf dieser Demonstration begangen werden.“

David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützt die Position. Er sagt: „Vernünftig wäre es, das Vermummungsverbot so auszulegen, dass es nur gilt, wenn Straftaten begangen werden oder drohen. Im Idealfall müsste es vorher von der Polizei angeordnet werden. Dann kann man sich entscheiden, ob man die Maske abnimmt oder die Versammlung verlässt, weil man seine Anonymität nicht aufgeben will. In jedem Fall hätte man die Sicherheit, dass man sich vor der polizeilichen Anordnung nicht strafbar macht.“

Die Humanistische Union würde das Vermummungsverbot abschaffen. Ein Kommentar des UN-Menschenrechtsausschuss zur Versammlungsfreiheit fordert ebenfalls ein Recht auf einen anonymen Versammlungs-Besuch.

Die einen Videos werden umgehend gelöscht, die anderen vielleicht nie

Laut Oberlandesgericht Karlsruhe steht das Vermummungsverbot all den vernünftigen Gründen zur Maskierung allerdings gar nicht entgegen. Denn Versammlungsleitende dürfen Ausnahmen vom Vermummungsverbot bei der Versammlungsbehörde beantragen. Das ist dann so ziemlich das Gegenteil vom Grundrecht auf anonymen Versammlungsbesuch.

Ein derartiger Antrag wird wohl in den allermeisten Fällen abgewehrt. Vielleicht hätten es die antifaschistisch orientierten CSD-Unterstützer*innen in Oranienburg dennoch mal versuchen sollen, einen Vermummungsantrag zu stellen. Jetzt müssen sie mit der Unsicherheit leben, ob die politischen Gegner später Fotos und Videos durch Biometriesysteme jagen und irgendwann mal zum Hausbesuch vorbeikommen.

Zumindest von der Polizei haben sie nichts zu befürchten. „Die Situation beruhigte sich, ohne dass Straftaten begangen wurden“, schreibt die zuständige Polizeipressestelle. Die polizeilichen Videoaufnahmen seien umgehend gelöscht worden.

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Schengen-Raum: EU-Kommission will digitalen Reisepass einführen

netzpolitik.org - 9 Oktober, 2024 - 11:01

Die EU-Kommission will Ausweiskontrollen beschleunigen. Mit Hilfe einer App sollen sich Reisende schon vor Antritt einer Reise ausweisen können. Auch Nicht-EU-Bürger:innen sollen die App nutzen können. Zum Datenschutz macht die Kommission noch keine genauen Angaben.

Von diesem Reisepass soll es eine digitale Version geben. – CC-BY 2.0 Justus Blümer

Die EU-Kommission hat gestern einen Vorschlag für eine App zum Speichern digitaler Identitätsdaten präsentiert. Wer innerhalb des Schengen-Raums reist, soll in Zukunft eine digitale Version des eigenen Reisepasses oder Ausweises in die „EU Digital Travel application“ hochladen können.

Der digitale Reisepass soll Kontrollen an den EU-Außengrenzen und an Flughäfen beschleunigen. Reisende, die die App nutzen, werden zwar weiterhin physische Dokumente mit sich führen müssen. Statt eines detaillierten Kontrollprozesses sollen sie diese dann aber nur noch scannen lassen müssen.

Die App soll für alle EU-Bürger:innen und Nicht-EU-Bürger:innen verfügbar sein, die aus der Schengen-Zone ein- oder ausreisen und einen EU-Ausweis oder einen biometrischen Pass haben. Reisende können sich mit der App auch vorab bei Behörden der EU-Mitgliedstaaten anmelden. EU-Bürger:innen sollen ihre digitalen Dokumente in allen EU-Staaten einsetzen können, etwa um sich für deren elektronische Identifizierungsverfahren zu registrieren.

Kommission will App selbst entwickeln

Die App will die EU-Kommission mit Unterstützung von EU-LISA selbst entwickeln, der Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.

EU-Bürger:innen sollen künftig ein digitales Zertifikat für die Nutzung der App anfordern können, wenn sie sich ein neues Ausweisdokument ausstellen lassen. Alternativ sollen sie sich mit der App und ihrem Ausweisdokument auch eigenständig ein digitales Reisedokument erstellen können.

Die Kommission weist darauf hin, dass die Niederlande, Finnland und Kroatien schon jetzt ihren Bürger:innen erlauben, digitale Dokumente bei der Ein- und Ausreise zu verwenden. Ab 2030 soll dies die App der Kommission für die gesamte EU ermöglichen.

Reisepass für die digitale Brieftasche

Bürger:innen sollen ihre Ausweisdokumente dann auch in der europäischen digitalen Brieftasche speichern können. Die sogenannte ID-Wallet müssen alle EU-Mitgliedstaaten bis Herbst 2026 ihren Bürger:innen zur Verfügung stellen.

Die Brieftasche ist ein digitales Großprojekt, mit dem die EU das Ausweisen in der ganzen Union digitalisieren und vereinheitlichen will. Nach jahrelangen Verhandlungen hat das Europäische Parlament das entsprechende Gesetz im Februar beschlossen. Derzeit gibt es erhebliche Unstimmigkeiten bei der technischen Ausarbeitung des Projekts. Im September warnte erneut ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen vor den Gefahren, die das Projekt in seiner aktuellen Form mit sich bringe.

Details zum Datenschutz folgen

Weitere Details zum Datenschutz bei der Reise-App will die EU-Kommission noch in Durchsetzungsrechtsakten bekannt geben. Sie sollen Einzelheiten zu Datensicherheit, den eingesetzten Verschlüsselungsmethoden und dem Datenzugang enthalten.

„Die Menge an Daten, die die Grenzschutzbehörden verarbeiten, ändert sich nicht“, schreibt die Kommission in einem FAQ zu ihrem Gesetzesvorschlag. „Es ändert sich nur das Timing, wann sie kontrolliert werden, weil die Kontrollen früher geschehen.“

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Sachverständige: Wie man politische Forderungen einbringt und rechtliche Grenzen absteckt

netzpolitik.org - 9 Oktober, 2024 - 08:31

Wer erarbeitet die schriftlichen Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen im Bundestag und aus welcher Motivation heraus? In welcher Atmosphäre finden Sachverständigenanhörungen statt? Wir sprechen mit Simone Ruf von der Gesellschaft für Freiheitsrechte über Parlamentsausschüsse, die Beteiligung der Zivilgesellschaft und wie man in 24 Stunden 88 Seiten Gesetzentwurf bewertet.

Anhörung im Rechtsausschuss. Die Stoppuhr zeigt die verbleibende Redezeit bei den Eingangsstatements der Sachverständigen an. – CC-BY 4.0 Markus Reuter

Simone Ruf engagiert sich als Teil der Zivilgesellschaft bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Sie erklärt im Gespräch, wie Sachverständige in Ausschüssen des Bundestags oder in Länderparlamenten politische Vorhaben bewerten und wie solche Sachverständigenanhörungen ablaufen.

Das gekürzte Transkript des Gesprächs stammt aus dem Podcast „Dicke Bretter“, der alle zwei Monate erscheint. Es geht darin um politische Willensbildung und um die Entstehung von Gesetzen, Richtlinien oder Konventionen bei digitalen Themen sowie um die Institutionen, Akteure und Organisationen, die daran mitwirken. In Zusammenarbeit mit dem Chaosradio des Chaos Computer Clubs erscheint bei netzpolitik.org ein Auszug aus der aktuellen Ausgabe von „Dicke Bretter“: ein Gespräch zwischen Simone Ruf, Elisa Lindinger und Constanze Kurz über die Abläufe bei Anhörungen im Bundestag und von wem Sachverständige eingeladen und befragt werden. Kommt tatsächlich ein Dialog zwischen Volksvertretern und Experten in Gange?

Simone Ruf

Simone Ruf ist promovierte Juristin und arbeitet als Verfahrenskoordinatorin bei der GFF. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind derzeit Überwachungsthemen.

Sachverständige in Anhörungen

Constanze Kurz: Wir sprechen heute über Sachverständigenanhörungen, beispielsweise in Ausschüssen im Bundestag. Elisa und ich haben in den vergangenen Jahren schon einige Erfahrungen darin gesammelt. Wir wollen erstmal erklären, wie eine solche Anhörung abläuft.

Elisa Lindinger: Simone, in welchem Ausschuss warst du jüngst, von welchem Parlament?

Simone Ruf: Ich war als Sachverständige im Innenausschuss des Bundestags. Man hat dort nur drei Minuten Zeit für ein Eingangsstatement. Zum Teil sind auch Sachverständige zugeschaltet. Nach den Eingangsstatements geht es mit einer Fragerunde los, die aber auch zeitlich stark beschränkt ist. Man hat dann jeweils zwei Minuten Zeit, um zu antworten.

Constanze Kurz: Elisa, war das bei deinen Anhörungen als Sachverständige auch so?

Elisa Lindinger: Was den Bundestag angeht, hatte ich eine bis zwei Minuten mehr Zeit als Simone. In der letzten Legislaturperiode war ich im Ausschuss Digitale Agenda, in dieser Legislaturperiode im Ausschuss für Digitales. Da waren es jeweils vier bis fünf Minuten, die wir anfangs Zeit hatten …

Constanze Kurz: … und von den Sachverständigen auch ausgenutzt wurde?

Elisa Lindinger: Bei mir zumindest waren alle sehr diszipliniert. Du merkst schon, dass die Leute, die dort reden, diese Chance ernst nehmen und sich darauf sehr intensiv vorbereiten. Fünf Minuten oder auch drei Minuten sind keine lange Zeit. Das heißt: Ich muss wirklich durchdenken, was die Kernpunkte sind, die ich rüberbringen möchte in dieser kurzen Redezeit, die mir auf jeden Fall zusteht.

Schriftliche Stellungnahmen

Constanze Kurz: Zusätzlich zur mündlichen Stellungnahme gibt es auch schriftliche Stellungnahme. Simone, hattest du bei deiner Anhörung eine schriftliche Stellungnahme abgegeben?

Simone Ruf: Ja, ich habe eine schriftliche Stellungnahme abgeben. Sie ist vor allem für die Abgeordneten gedacht, damit sie ihre Fragen darauf aufbauen können.

Constanze Kurz: Hattest du den Eindruck, dass die Abgeordneten die Stellungnahmen gelesen haben? Hast du Punkte aus deiner schriftlichen Stellungnahme wiederholt?

Simone Ruf: Ich weiß nicht, ob alle wirklich alles lesen und in welcher Detailliertheit. Um die eigenen wichtigen Punkte machen zu können, ist es wichtig, im Eingangsstatement kurz die Chance zu nutzen, um den Fokus auf die Argumente zu legen.

Einhundert Kekse im Geheimdienst-Untersuchungsausschuss

Constanze Kurz: In diesem Fall ging es um keinen konkreten Gesetzentwurf, sondern um einen Antrag der Opposition. Warum musste der Innenausschuss tagen?

Simone Ruf: Die Opposition, also konkret die Fraktion aus CDU und CSU, wollte, dass der Bundestag beschließt, dass Palantir-Software auch auf Bundesebene eingesetzt werden darf.

Constanze Kurz: Worum ging es bei deinen Anhörungen, Elisa?

Elisa Lindinger: Die Anhörung in diesem Sommer fand auch auf Antrag der Oppositionsfraktion statt. Es ging um das Thema Datenschutz. Ich versuche es mal neutral zu formulieren: Es ging darum, inwieweit es ein Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Innovation gibt. Es war nicht nur die Zivilgesellschaft vertreten, sondern eine ganze Reihe von Sachverständigen aus unterschiedlichen Bereichen.

Constanze Kurz: Hatte die Anhörung einen bestimmten Zweck? Bei Simone gab es zum Beispiel ein bestimmtes Ziel, der Bundestag solle etwas beschließen. War das bei dir auch so?

Elisa Lindinger: Es war vage. Die Anhörung fand relativ kurze Zeit nach der Bundestagsanhörung zur Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes statt. Insofern war das eine gedoppelte Diskussion.

Im Bundestag

Constanze Kurz: Wir haben jetzt die Situation ungefähr beschrieben. Wir wollen nun darauf kommen, wie der gesamte Prozess im Bundestag abläuft. Wir haben Ausschüsse wie den Innenausschuss, das haben wir schon in anderen Folgen der „Dicken Bretter“ besprochen. Hier wird im Wesentlichen die Gesetzgebung für zum Beispiel die Polizei oder für die Geheimdienste besprochen. Bei Elisas Beispielen waren es hingegen Ausschüsse, die teilweise mehrere Ministerien betreffende Themen behandeln.

Aber der eigentliche Hintergrund einer Sachverständigenanhörung ist ja zunächst mal ein Erkenntnisinteresse: Man möchte Experten zusammenholen, deren juristische, aber auch andere Einschätzungen hören. Simone, hattest du den Eindruck, dass du als Expertin mitwirkst an der politischen Meinungsbildung?

Simone Ruf: Ich glaube, das ist schon eine Chance, die eigenen Argumente und die eigene Sichtweise darzustellen. Ich hatte den Eindruck, dass es viel um Sachkunde einbringen geht.

Constanze Kurz: Wer hat dich zur Anhörung geladen?

Simone Ruf: Die offizielle Einladung kommt immer vom Ausschuss selbst. Grundsätzlich wird man aber von den Fraktionen vorgeschlagen. Sie können Sachverständige benennen, die dann eingeladen werden sollen. In diesem Fall wurde ich von den Grünen eingeladen.

Constanze Kurz: Also du bist von der Regierungsseite eingeladen worden. Elisa, war das bei dir auch so?

Elisa Lindinger: Bei mir war es die SPD-Bundestagsfraktion, die mich eingeladen hat.

Wer lädt ein?

Constanze Kurz: Seid ihr jemals von der Opposition eingeladen worden?

Elisa Lindinger: Bei mir war es das erste Mal, dass ich von einer Regierungsfraktion eingeladen wurde. Vorher war es die Linke, die zivilgesellschaftliche Stimmen reinholen wollte.

Constanze Kurz: Macht es einen Unterschied, wenn man regierungsseitig berufen ist?

Simone Ruf: Ich habe keinen Unterschied gemerkt, vielleicht nur an der Anzahl der Fragen, die man bekommt. Die Linke kann in den Sachverständigenanhörungen nicht mehr viele Fragen stellen.

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Constanze Kurz: Du hast am Anfang erwähnt: Es gibt die Eingangsstatements und dann eine Form von Dialog. Wie läuft es danach weiter?

Simone Ruf: Es geht reihum. Bei mir gab es pro Fraktion zwei Fragen in den ersten beiden Runden. Dann kommt noch eine schnelle Runde am Schluss. Als sachverständige Person hat man trotzdem nur zwei Minuten Zeit, um zu antworten.

Fragerunden

Constanze Kurz: Elisa, gab es in deiner letzten Anhörung eher Dialog oder war es auch so sehr aufgeteilt nach Fraktionen?

Elisa Lindinger: Die Fragen in der zweiten Runde kommen eigentlich nur von der Fraktion, die einen eingeladen hat, insofern keine Diskussion. Es gibt eine Fraktion, die strukturell Probleme hat, Sachverständige zu bekommen, aus nachvollziehbaren Gründen: Das ist die AfD. Sie fragen manchmal gar nichts, manchmal fragen sie andere Sachverständige. Darauf reagieren die Sachverständigen sehr unterschiedlich. Manche beziehen konkret Stellung, dass sie der AfD-Bundestagsfraktion keine Antwort geben wollen, wie das letztens die großartige Aline Blankertz von Wikimedia gemacht hat.

Constanze Kurz: Hast du das ähnliches erlebt, Simone? Wie war das mit der AfD?

Simone Ruf: Sie haben mir keine Fragen gestellt. Allerdings gibt es noch eine neutrale Instanz, an die Fragen von allen Fraktionen gestellt werden. Das war der Bundesbeauftragte für Datenschutz, in meiner Anhörung noch Ulrich Kelber.

Constanze Kurz: Meine Erfahrung in den letzten Anhörungen war, dass Kelber eher selten gefragt worden ist. Ich möchte auch kurz einbringen, dass die jetzt beschriebene Anhörungsform nicht immer so war. Früher habe ich das als dialogischer erlebt. Gerade bei Themen, die neu waren, wurde über Fraktionen hinweg gefragt. Leider beobachte ich das genau wie ihr in den letzten Jahren nicht mehr.

Elisa Lindinger: Wie erklärst du dir das?

Constanze Kurz: Mein Eindruck ist: Es ist ein hoher zeitlicher Druck da. Ich empfinde die Sachverständigenanhörungen zumindest teilweise als Simulation von Beteiligung. Die Zeit, als der Bundestag Technik als Neuland betrachtet hat, ist vorbei.

Ich habe oft frustrierende Momente erlebt, aber auch das Gegenteil. Deswegen würde ich euch gern fragen, wie es jenseits vom Bundestag läuft: Ihr wart auch schon in Landtagen bei Anhörungen, wie läuft es dort?

Simone Ruf: Ich war im Bayerischen Landtag. Das war weniger formalisiert. Es gab zwar auch eine Zeitbeschränkung, die wurde aber einfach überzogen. Es gab viel mehr Diskussion. Zum Beispiel war das Eingangsstatement, wenn ich mich richtig erinnere, zehn Minuten lang. Bei Fragen konnte man sich grundsätzlich auch selbst einschalten. Man konnte so auf die Aussagen der anderen Sachverständigen eingehen. Auch die Abgeordneten haben Fragen an mehrere Sachverständige gerichtet.

Elisa Lindinger: Meine Erfahrungen sind ähnlich. Im ersten Jahr der Pandemie war ich in Nordrhein-Westfalen im Landtag. Das war eine digitale Zuschaltung. Das Zuschalten war damals noch neu, vielleicht waren wir alle sehr achtsam miteinander. Ich fand das Gesprächsklima einfach sehr nett, es war eine sehr wertschätzende und gute Diskussion – vor allem auch eine Diskussion, die ihren Namen verdient.

Constanze Kurz: Ich habe auch Landtage als Sachverständige beraten. Es wirkt auf mich ein bisschen weniger eitel, mehr sachorientiert und weniger als Korsett, was die zeitlichen Beschränkungen angeht.

Aber ich habe auch Ausnahmen erlebt: In Hessen fand anlässlich des „Hessentrojaners“ eine große Sachverständigenanhörung statt, wo ich als Sachverständige mit dabei war. Da waren fast vierzig geladene Sachverständige. Dann wird es natürlich ein bisschen harscher, weil man stark auf die Regeln achten muss, damit nicht alle durcheinander reden. Es hängt also zumindest aus meiner Erfahrung auch mit der Menge der Sachverständigen zusammen.

Konkrete Gesetzentwürfe diskutieren

Constanze Kurz: Wie läuft eine Anhörung ab, wenn man einen konkreten Gesetzentwurf vor der Nase hat?

Simone Ruf: Dann sind häufig noch mehr Juristen dabei. Das liegt daran, dass es darum geht, rechtliche Grenzen zu markieren. Bei offen formulierten Anträgen ist hingegen ein bisschen mehr Raum für politische Forderungen und Argumentationen. Man ist dann nicht so gezwungen, auf rechtliche Grenzen einzugehen.

Bei der GFF kennen wir die rechtlichen Grenzen, kommunizieren aber darüber hinaus trotzdem politische Forderungen. Insofern ist eine Sachverständigenanhörung für uns eine gute Chance, um auch Forderungen reinzubringen und gleichzeitig zu markieren, wo rechtliche Grenzen liegen.

Bei Gesetzentwürfen ist eine Stellungnahme sehr aufwendig. Die Entwürfe sind häufig sehr lang, die Zeit ist beschränkt. Im besten Fall hat man vielleicht auch Formulierungen parat, wie man es besser machen könnte.

Elisa Lindinger: Du warst in einer Anhörung, wo ein konkreter Gesetzentwurf besprochen wurde. Was für ein Gesetzentwurf war das?

Simone Ruf: Es ging um das Datenschutzgesetz. In unserer Stellungnahme ging es auch um ein Verbot von biometrischer Fernidentifikation, das man darin mit aufnehmen könnte. Das war ein Vorschlag, den wir platzieren wollten.

Sachverständige fordern umfassendes Verbot biometrischer Videoüberwachung

Constanze Kurz: Wie gehst du bei der Bewertung von Gesetzesentwürfen vor?

Simone Ruf: Im besten Fall beobachtet man das Thema länger und hat entsprechend schon Argumente entwickelt. Ansonsten ist immer die Frage, wer intern bereits dazu arbeitet oder ob andere NGOs bereits Positionen entwickelt haben, die man mit einbeziehen will.

Dann geht es natürlich um die konkrete Betrachtung der Regelungen, um eine umfängliche rechtliche Prüfung vorzunehmen. Sprich: der Abgleich mit Verfassungsrechtsprechung. Gleichzeitig muss man aber auch immer überlegen, was für Argumente sprechen dafür, dass man die Grenzen nicht unbedingt immer ausreizen muss, sondern vielleicht weiter weg von den juristischen Grenzen geht. Mit Gesetzgebung, die insbesondere Überwachungsbefugnisse betrifft, will man vielleicht nicht wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen.

Constanze Kurz: Wenn man sich die erfolgreichen Verfassungsbeschwerden bei Überwachungsbefugnissen der letzten zehn Jahre ansieht, ist vieles davon in Sachverständigenanhörungen genau so schon benannt worden – nicht nur von Sachverständigen der GFF, sondern natürlich auch von anderen Juristen, die beispielsweise an Universitätslehrstühlen arbeiten.

Es gibt auch die Ausschüsse, in denen man ein Thema bespricht und sich eine politische und inhaltliche Meinung bilden will. Werden dann auch schriftliche Stellungnahmen abgegeben?

Elisa Lindinger: Ja, aufgrund der knappen Zeit allerdings recht kurze. Man bekommt vorher einen Fragenkatalog, in den die Fraktionen alle Fragen reingeben. Man wird dann aufgefordert, diese Fragen zu beantworten. Das ist in der Regel eine inhaltliche Bandbreite, die wahrscheinlich die Expertise jeder einzelnen Person übersteigt. Manche Sachverständige listen in ihren schriftlichen Stellungnahmen konkrete Fragen aus dem Katalog auf und nehmen dazu Stellung. Andere schreiben eher eine Art von Einschätzung zum Gesamtthema und referenzieren, welche Fragen sie wo beantworten.

Fristen werden knapper

Elisa Lindinger: Was verändert sich in den Ausschüssen?

Constanze Kurz: Mein Eindruck ist: Fristen werden knapper, immer alles auf den letzten Drücker. Da bleibt nicht wirklich Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Die Zivilgesellschaft hat das bereits 2020 in einem offenen Brief klar benannt. Ein Teil der Zivilgesellschaft arbeitet ehrenamtlich. Eine der Forderungen war: mindestens vier Arbeitswochen für einen langen, komplexen Gesetzentwurf. Eine weitere Forderung war, dass der gesamte Prozess transparenter sein soll, also mehr Synopsen. Eine Synopse ist eine Gegenüberstellung der gesetzlichen Änderungen, damit arbeitet man leichter.

Besonders gut finde ich allerdings in letzter Zeit, dass alles gestreamt wird und man sich so die Anhörungen auch im Nachhinein anschauen kann.

Elisa Lindinger: Auch vor Ort kann man dabei sein. Man kann sich ein paar Tage vorher beim Ausschussbüro anmelden und dann auf der Tribüne oben sitzen und sich das angucken. Das ist ganz interessant, da sitzen immer wieder Leute.

Unterm Strich: Was ist eigentlich der Mehrwert für euch, um in diesen Ausschüssen dabei zu sein?

Simone Ruf: Ich finde es einfach eine große Chance, dass man als zivilgesellschaftliche Organisation etwas einbringen kann und dadurch auch Öffentlichkeit bekommt. Man kann auch Kritik und eigene Ansichten unterbringen und bekommt entsprechend Reichweite. Gleichzeitig hoffe ich schon, dass auch Rechtfertigungsdruck entsteht, wenn am Ende die Argumente doch nicht umgesetzt oder aufgegriffen werden. Trotzdem muss man immer in Kauf nehmen, dass Argumente in politischen Kompromissen untergehen.

Constanze Kurz: Ich würde es ähnlich sehen, trotzdem war ich öfter mal frustriert nach Anhörungen. Ich fand das immer eine Chance, denn man muss das Gespräch suchen und die Aufklärung, insbesondere bei technischen Themen. Ich habe es auch immer als Privileg empfunden.

Aber wie könnte ein gute Beteiligung von Experten, Zivilgesellschaft, aus der Wissenschaft aussehen?

Simone Ruf: Einen Aspekt hast du schon angesprochen: der zeitliche Aspekt. Wir hatten ein ganz krasses Beispiel: Es ging um die Reform zum BND-Gesetz, und wir hatten nur 24 Stunden für 88 Seiten Gesetzentwurf. Sowas darf eigentlich nicht sein.

Zeit ist immer ein Faktor, sowohl für die schriftlichen Stellungnahmen als auch in der mündlichen Anhörung. Wir haben ja gerade schon über die Unterschiede dazu gesprochen, wie Anhörungen in den Bundesländern ablaufen. Da kommt mehr Diskussion zustande, man ist nicht so gezwungen, eine Frage ganz kurz in zwei Minuten zu beantworten. Das wäre ein großer Aspekt, den man verbessern könnte.

Bundeskanzleramt simuliert Verbändebeteiligung mit 24-Stunden-Frist

Constanze Kurz: Würdest du zustimmen? Fallen dir noch weitere Aspekte ein, die man in einer idealen Welt gern hätte?

Elisa Lindinger: Ich stimme auf alle Fälle zu, was die Arbeit im Vorfeld angeht: mehr Zeit, auch eine bessere Zurverfügungstellung von Dokumenten und Arbeitsständen, gerade wenn es um konkrete Gesetzesentwürfe geht. Es wird besser, aber ist immer noch verbesserungsbedürftig.

Ich würde auch wünschen, dass es eine Art von Nacharbeitung gibt. Da sind sieben mehr mit Expertise ausgestattete Menschen, die Standpunkte vertreten und Vorschläge machen. Das ist teilweise sehr konkret und begründet. Dann passieren manche Dinge aber trotzdem, manche Dinge werden umgesetzt oder nicht. Es gibt überhaupt keinen Referenzpunkt, an dem sich der Ausschuss oder die Ministerien oder das Kabinett, die dann die finalen Entwürfe fertigstellen, nochmal darauf beziehen. Du weißt nie: Wurde über meinen Punkt jetzt diskutiert oder ist das verhallt? Ich hätte das gern sichtbar gemacht: Was passiert eigentlich mit der Expertise, die wir einbringen. Klar ist das eine Mehrarbeit, aber ich glaube, das wäre im Sinne des respektvollen Miteinanders ein wichtiges Zeichen.

Constanze Kurz: 2020 gab es eine Initiative von vielen NGOs: Wir haben damals geschrieben, dass Sachverständigenanhörungen und generell die Hinzuziehung von Expertise nicht zur Simulation verkommen sollte. Ich fand das einen harten Begriff, aber manchmal hat man schon den Eindruck, dass eine Sachverständigenanhörung einfach stattfinden muss. Zwar ist es politisch von allen oder der Mehrheit der regierenden Parteien gewollt, dass etwas genauso kommt wie geplant, und eigentlich wollen sie die Gegenargumente nicht hören. Denn letztlich ist es das, was die Sachverständigen oft anbringen: nämlich Kritik. Da kommt selten mal ein Sachverständiger und sagt: „Ja, okay, finde ich super“, sondern sie haben an einzelnen Punkten große und kleinere Kritikpunkte.

Menschlich kann ich es auch verstehen: Es ist anstrengend, wenn man sich an dieser Kritik abarbeiten soll anstatt seine politische Agenda durchzubringen. Mit euren Vorschlägen würde man dieses Dilemma leider auch nicht lösen.

Elisa Lindinger: Wir sollten keine Expertokratie ins Leben rufen, ich glaube, das will niemand von uns. Aber vielleicht für mehr Transparenz zu sorgen, zum Beispiel zu sagen, das Gesetz wurde später vom Verfassungsgericht abgesägt, auch schon in den Stellungnahmen bei den Anhörungen wurde es zu Recht kritisiert.

Das macht Simone und das macht die GFF tatsächlich. Deswegen machst du großartige Arbeit, Simone.

Würdet ihr es wieder tun?

Constanze Kurz: Wenn ihr als Sachverständige eingeladen werdet, ihr würdet das nochmal tun, oder?

Simone Ruf: Auf jeden Fall.

Elisa Lindinger: Wenn es nicht die AfD ist. Ich habe das im Bundestag schon mehrfach gehört: Die AfD hat tatsächlich Probleme, Sachverständige einzuladen. Sie könnten oft zwei Sachverständige berufen, schaffen das aber nicht.

Constanze Kurz: Würdet ihr empfehlen, sich die Streams von den Anhörungen anzusehen?

Simone Ruf: Kommt wahrscheinlich auf das Thema an, aber ich finde, wenn ein Thema dabei ist, an dem man Interesse hat, dann ist das ganz interessant. Aber es ist vielleicht ein bisschen interessanter – wenn jemand in Berlin wohnt –, einfach reinzugehen und live dabei zu sein, dann bekommt man mehr Atmosphäre mit.

Elisa Lindinger: Man kann vielleicht auch die zivilgesellschaftliche Vertretung eurer Herzen ein bisschen unterstützen, denn es ist manchmal ganz schön aufregend und nervenaufreibend. Und zu wissen, es ist wichtig und Leute hören zu, das ist, finde ich, ein gutes Signal.

Constanze Kurz: Vielen Dank, dass du bei unserem Podcast „Dicke Bretter“ zu Gast warst, Simone!

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Niederländische Digital-NGO: Bits of Freedom wird 25

netzpolitik.org - 8 Oktober, 2024 - 18:01

Seit 25 Jahren setzt sich Bits of Freedom für digitale Grund- und Bürgerrechte ein. Die niederländische Nichtrechtregierungsorganisation kann auf beachtliche Erfolge zurückblicken und ist auch in der EU eine feste Größe. Vielen Dank für das Engagement und herzlichen Glückwunsch!

Herzlichen Glückwunsch Bits of Freedom! – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Jason Leung

Die niederländische Nichtregierungsorganisation „Bits of Freedom“ feiert 25. Geburtstag. Seit einem Vierteljahrhundert setzt sich die Stiftung in den Niederlanden und Europa für digitale Grund- und Freiheitsrechte ein. Herzlichen Glückwunsch!

An vielen Fronten gleichzeitig

„Ein großer Teil der Arbeit von Bits of Freedom besteht darin, zu verhindern, dass schädliche Dinge passieren“, so beschrieb Maartje Knaap von Bits of Freedom die Rolle der Nichtregierungsorganisation kürzlich. Dabei kämpft die Organisation an vielen Fronten gleichzeitig und kann auf beachtliche Erfolge zurückblicken.

Eines der wichtigsten Einsatzfelder ist seit langem das Thema Netzneutralität. 2011 verhinderte die Organisation beispielsweise, dass der niederländischen Internetprovider KPN Sondergebühren für das Verschicken von WhatsApp-Nachrichten verlangt, was ein erheblicher Verstoß gegen die Netzneutralität wäre. Daneben leistet die Stiftung erhebliche Lobbyarbeit für den Schutz des wichtigen Grundprinzips, dass Internetanbieter alle Daten gleich behandeln. So waren die Niederlande 2012 der erste EU-Staat, der ein Gesetz für allgemeine Netzneutralität verabschiedete. Ein europäischer Meilenstein, an dem Bits of Freedom maßgeblich beteiligt war.

Ein anderer Schwerpunkt der Organisation liegt auf den Bereichen Überwachung und Privatsphäre. So beteiligten sich Bits of Freedom 2014 an einem wegweisene Experiment, das veranschaulicht, wie erschreckend einfach es ist, anhand von Metadaten weite Bereiche des Privatlebens aufzudecken. Dafür teilte ein Mitarbeiter seine Metadaten eine Woche lang mit einem Forschungsteam. Dieses konnte mit relativ einfachen Werkzeugen und Methoden ein detailliertes Profil der Person erstellen: Soziales Netzwerk, persönliche Interessen, Standorte, philosophische Überzeugungen, und Kaufverhalten der Person waren dem Team nach dem Experiment bekannt. Das Experiment schlug international hohe Wellen – auch netzpolitik.org berichtete.

Danke, weiter so!

Vehement setzt Bits of Freedom sich gegen Missbrauch solcher Daten ein – egal ob durch kommerzielle oder staatliche Akteure. So brachte die NGO beispielsweise 2015 die niederländische Vorratsdatenspeicherung zu Fall. Jährlich richtet die Organisation die niederländische Version der Big Brother Awards aus, bei dem besonders gravierende Verstöße gegen die Privatsphäre negativ ausgezeichnet werden (das deutsche Pendant wird übrigens diesen Freitag verliehen). Konkrete Hilfestellungen für den Datenschutz bietet Bits of Freedom mit dem Projekt „My Data Done Right“.

Auch in der Europäischen Digital-Rights-Szene ist Bits of Freedom eine feste Größe und war unter anderem an der Gründung des europäischen Dachverbandes European Digital Rights beteiligt. Wir sagen vielen Dank für die Arbeit und: weiter so!

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Verbraucherschutz: Saugroboter von Ecovacs als Spion in der Wohnung

netzpolitik.org - 8 Oktober, 2024 - 17:45

Ein Saugroboter der Marke Ecovacs war nicht nur leicht zu hacken, sondern gibt auch zahlreiche intime Daten über die Nutzer:innen an das Unternehmen weiter. Die Datenschutzeinstellungen, das zu verhindern, sind gut versteckt.

ABC untersuchte den Saugroboter Deebot X2 von Ecovacs. – Alle Rechte vorbehalten Ecovacs PR

Saugroboter des Herstellers Ecovacs aus der Modellreihe Deebot sammeln laut einem Bericht der australischen ABC neben Daten über die Wohnräume seiner Nutzer:innen auch Fotos, Videos und Audioaufnahmen. Diese Informationen sollen dazu genutzt werden, um die KI-Modelle des chinesischen Unternehmens zu trainieren.

Besonders brisant: ABC hatte in einer anderen Recherche auch gezeigt, dass der Roboter gehackt werden kann, wodurch Unbefugte theoretisch Zugang zu den Kameras erhalten und sogar in Echtzeit in Privathaushalte hineinschauen könnten. Obwohl das Problem bereits 2023 entdeckt und die Sicherheitslücke an Ecovacs gemeldet wurde, reagierte das Unternehmen über Monate nicht auf die E-Mail. Dann spielte es die Sicherheitslücke herunter und sprach davon, dass man „spezielle Hackingtools“ für den Hack benötige. Der Angriff war aber mit einem normalen Smartphone und aus 100 Metern Entfernung möglich gewesen.

Versteckte Datenschutzerklärung

Nach der Datensammlung mit den Fotos, Videos und Audioaufnahmen gefragt, antwortete das Unternehmen laut ABC, dass die Nutzer:innen „willentlich“ an diesem Programm teilnehmen würden. Dies ist laut ABC allerdings nicht der Fall, denn „wenn sich Benutzer über die Ecovacs-Smartphone-App für dieses Programm anmelden, wird ihnen nicht mitgeteilt, welche Daten gesammelt werden, sondern nur, dass dies Ecovacs „dabei helfen wird, die Verbesserung der Produktfunktionen und der damit verbundenen Qualität zu stärken“. In der App werden die Benutzer:innen laut dem Bericht angewiesen, auf „oben“ zu klicken, um die Einzelheiten zu lesen, allerdings gäbe es auf dieser Seite gar keinen Link.

Die Datenschutzrichtlinie von Ecovacs – die an anderer Stelle in der App verfügbar ist – erlaubt die pauschale Erfassung einer 2D- und 3D-Karte der Wohnung, Audioaufnahmen sowie Fotos und Videos. Gleichzeitig lässt sich Ecovacs zusichern, dass es diese Daten, wenn sie in der App gelöscht werden, auch weiterhin nutzen kann.

Eine wirklich informierte Einwilligung, die laut der Datenschutzgrundverordnung in Europa notwendig ist, dürfte das jedenfalls nicht sein.

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US-Gerichtsurteil: Google muss seinen Play Store weiter öffnen

netzpolitik.org - 8 Oktober, 2024 - 15:25

Im Vorjahr hat eine Jury festgestellt, dass Google seine Marktmacht im Mobilbereich missbraucht. Nun hat ein US-Bundesrichter dem IT-Unternehmen konkrete Auflagen gemacht, damit mehr Wettbewerb inner- und außerhalb des Play Stores einzieht.

Der App Store von Google muss sich in den USA öffnen, hat ein Bundesrichter entschieden. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Zoonar

Google muss seinen App Store Google Play und sein Android-Betriebssystem für Smartphones weiter für die Konkurrenz öffnen. Das hat am Montag ein US-Bundesgericht in San Francisco entschieden. Demnach muss es für Drittanbieter einfacher werden, ihre eigenen App-Stores auf Android-Mobilgeräten anzubieten. Zudem sollen sie ihre alternative Bezahlsysteme außerhalb des Android-Ökosystems verwenden dürfen. Die Vorgaben gelten für drei Jahre ab dem 1. November, anwendbar sind sie in den USA.

Die gestrige Entscheidung geht auf das Urteil einer Jury im Dezember zurück. Diese hatte damals festgestellt, dass Google gegen das US-Kartellrecht verstoßen habe, indem das Unternehmen unter anderem zu hohe Gebühren für den Vertrieb von Apps verlangt habe. Geklagt hatte der Spiele-Hersteller Epic Games, der Google wettbewerbsfeindliches Verhalten vorgeworfen hatte.

Google hat angekündigt, gegen das Urteil in Berufung gehen zu wollen. Die gerichtlich angeordneten Änderungen würden die Privatsphäre und Sicherheit von Kund:innen gefährden, es Entwickler:innen schwerer machen, ihre Apps anzupreisen und insgesamt den Wettbewerb auf mobilen Geräten reduzieren, heißt es in einem Blog-Beitrag des IT-Unternehmens.

Umfangreiche Auflagen

Der Bundesrichter James Donato hat praktisch allen Wünschen des Spielherstellers stattgegeben und ist stellenweise darüber hinausgegangen. So können App-Anbieter innerhalb des Play Stores auf alternative Bezahlmöglichkeiten aufmerksam machen; sie können auf alternative Download-Möglichkeiten verlinken und sie können ihre eigenen Preise festlegen, ohne auf das Zahlungssystem von Googles Play Rücksicht nehmen zu müssen.

Ferner untersagt das Urteil Google, exklusive Deals mit Software-Anbietern einzugehen, wenn sie ihre Apps zuerst im Play Store veröffentlichen. Auch darf es keine Deals mit Hardware-Herstellern oder Netzbetreibern geben, um den Play Store vorzuinstallieren – oder alternative Stores nicht zu installieren. Zulässig bleibt es aber weiterhin, Apps bestimmten Sicherheitsüberprüfungen zu unterziehen und eine angemessene Gebühr dafür zu verlangen.

Spielraum für Digitalriesen wird enger

Das Urteil ist eine weitere Niederlage für Google, das in vielen Digital-Märkten eine herausragende Stellung innehat. Zuletzt hatte ein US-Bundesgericht in Washington, D.C., Google zu einem Monopolisten in den Märkten für allgemeine Online-Suche sowie für allgemeine Text-Werbung neben Suchergebnissen erkärt. Konkrete Konsequenzen des Urteils stehen noch aus, sie werden in den nächsten Monaten erwartet.

Auch in der EU beginnt sich langsam der Wind gegen die großen Anbieter in digitalen Märkten zu drehen. Seit im März das Digitale-Märkte-Gesetz (DMA) in der EU in Kraft getreten ist, hat die EU-Kommission bereits eine Reihe an Untersuchungen gegen übermächtige IT-Konzerne eingeleitet, darunter auch gegen Google. Schon im Vorfeld hatte Google einige Änderungen im Android-Ökosystem vorgenommen, um möglichen Gesetzesfolgen auszuweichen.

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Gesichtserkennung in Sachsen: Datenschutzbeaufragte kritisiert biometrische Videoüberwachung als verfassungswidrig

netzpolitik.org - 8 Oktober, 2024 - 13:36

Sachsens Datenschutzbeauftragte kritisiert die biometrische Überwachung in der Region Görlitz scharf. Sie hält das Vorgehen für „höchst bedenklich“ und verfassungswidrig. An Polizei und Staatsanwaltschaften richtet sie den Appell, diese Form der Überwachung vorerst zu unterlassen.

Das Überwachungssystem PerIS gibt es stationär, wie auf dem Bild, und mobil. – Screenshot Werbevideo PptoPrecision

Die sächsische Datenschutzbeauftragte Juliane Hundert kritisiert das Vorgehen der Polizei ihres Bundeslandes wegen des Einsatzes von biometrischer Bilderkennung als teilweise verfassungswidrig. Im Fokus der Datenschutzbeauftragten sind insbesondere Maßnahmen der Polizei in der Region Görlitz, wo diese 17 stationäre Kameras und eine nicht bekannte Zahl mobiler Kameras zur Überwachung einsetzt. Mit der Görlitzer Überwachungstechnik „PerIS“ kann die Polizei Kennzeichen von durchfahrenden Kraftfahrzeugen sowie Gesichtsbilder der Fahrer:innen und Beifahrer:innen aufnehmen und automatisch auswerten, sie hat dies in der Vergangenheit auch getan.

Laut der Sächsischen Zeitung (SZ) fordert die Landesdatenschutzbeauftragte Juliane Hundert deswegen neue rechtliche Vorgaben für Videoaufnahmen im öffentlichen Raum. Sie kritisiert laut dem Medienbericht, dass die Kameras filmen, was ihrer Meinung so eigentlich nicht gefilmt werden darf. „Meinen Erkenntnissen nach findet dabei bisher in ausgewählten Fällen ein automatisierter biometrischer Abgleich von aufgezeichneten Gesichtsbildern mit zuvor hinterlegten Referenzbildern statt“, zitiert die Zeitung die Datenschutzbeauftragte.

„Höchst bedenklich“ und gegen die Verfassung

Obwohl dies auf richterliche Anordnung geschehe, hält Hundert die Maßnahmen für „höchst bedenklich“, weil das System von Unbeteiligten und nicht-verfahrensrelevanten Personen biometrische Muster ihrer Gesichter erstelle. Diese Eingriffstiefe sei „nicht ansatzweise von den aktuell geltenden Ermittlungsbefugnissen in der Strafprozessordnung gedeckt“. Hierfür bedürfe es einen bestimmten und normenklaren gesetzlichen Grundlage. Mit Blick auf die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts hält Hundert die Überwachung für verfassungswidrig, heißt es weiter in dem Medienbericht.

Das sächsische Innenministerium sieht das laut der Sächsischen Zeitung anders. „Die Anwendung der Videoüberwachung im Rahmen der Strafverfolgung ist rechtmäßig nach der Strafprozessordnung“, heißt es dort auf Nachfrage der SZ. Zudem verzichte man „bis auf Weiteres“ auf die Verwendung der Echtzeitfunktion, betont jedoch, dass sich das System bewährt habe und verweist auf immer mehr Treffer durch das System. Im Medienbericht ist hierbei von 101 (2020), 301 (2021), 124 (2022) und 387 Hinweisen auf gesuchte Personen im vergangenen Jahr die Rede. Die „überwiegende Mehrzahl“ dieser Treffer wird laut dem Ministerium „auf dem Wege klassischer kriminalistischer Arbeit händisch oder teilweise mittels retrograd-biometrischem Abgleich“ erzielt. Ähnliches hatte die Polizei Görlitz in der Vergangenheit auch gegenüber netzpolitik.org angegeben.

Appell an Polizei und Staatsanwaltschaften

Die Datenschutzbeauftragte appelliert laut der SZ nun „an Polizei und Staatsanwaltschaften in Sachsen, solche Maßnahmen künftig nicht mehr zu beantragen“. Das freut die Piraten-Politikerin Anne Herpertz, die sich schon länger mit der Überwachung in Görlitz befasst: „Wir begrüßen sehr, dass die Datenschutzbeauftragte unserer Forderung nach Untersagung von Anträgen und Anordnungen nachkommt.“ Es sei allerdings nicht hinnehmbar, dass das Innenministerium die Verfassungswidrigkeit der Überwachungsmaßnahmen leugne. „Ein Verzicht auf die Echtzeitfunktion behebt das Problem nicht – Gesichtserkennung ist und bleibt verfassungswidrig“, so Herpertz weiter.

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